Einmal gesehen, vergisst man sie nicht: lange Reihen von pelzigen Raupen, die wie an einer unsichtbaren Schnur aufgereiht durch die Gegend marschieren. Die Rede ist von den Prozessionsspinnern – kleinen Insekten mit großer Wirkung. Was vor wenigen Jahrzehnten noch ein südfranzösisches Phänomen war, hat sich inzwischen zum landesweiten Problem gemausert. Und die Wurzel dieses Übels? Der Klimawandel.
Ein Wintermärchen? Leider nicht.
Früher hielten kalte Winter und knackige Fröste diese Plagegeister in Schach. Heute? Ein milder Februar reicht aus, damit sich die ersten Larven zeigen – teilweise Wochen früher als noch vor zwanzig Jahren. Die wärmeren Temperaturen verlängern nicht nur ihre Lebenszyklen, sie geben ihnen auch mehr Raum zur Entfaltung. Und plötzlich sind sie da: in Parks, Schulhöfen, Gärten und selbst in Städten, die früher als zu kühl galten.
Dabei handelt es sich in Frankreich hauptsächlich um zwei Arten: den Kiefern-Prozessionsspinner (Thaumetopoea pityocampa) und den Eichen-Prozessionsspinner (Thaumetopoea processionea). Zusammen haben sie inzwischen rund 80 % der französischen Départements erobert. Kein Witz – das ist eine biologische Invasion im Tarnmantel.
Winzige Haare, große Wirkung
Jetzt könnte man meinen: Was soll’s, sind ja bloß Raupen. Aber die haben’s faustdick hinter den Ohren – oder besser gesagt: auf dem Rücken. Ihre winzigen Härchen sind nicht nur stechend urtizierend, sondern auch gefährlich für Menschen und Tiere. Kaum sichtbar, aber höchst wirksam. Die Folge: juckende Hautausschläge, gereizte Augen, Hustenanfälle und – bei Pech – sogar asthmatische Reaktionen.
Für Hunde wird es noch kritischer. Einmal geschnüffelt oder gar geleckt, kann das Gewebe an der Zunge absterben. In schlimmen Fällen endet der Kontakt tödlich. Wer also glaubt, ein Waldspaziergang im Frühjahr sei harmlos, sollte zweimal hinschauen – oder auf ein Pfotenverbot setzen.
Ein Flickenteppich aus Maßnahmen
Natürlich wird nicht tatenlos zugeschaut. In ganz Frankreich probieren Kommunen, Förster, Gärtner und Privatpersonen verschiedenste Methoden aus, um den unliebsamen Gästen Herr zu werden.
Ein Klassiker: mechanische Fallen. Diese „Raupen-Kragen“ werden um Baumstämme gelegt und fangen die Tiere während ihres Abmarschs in den Boden ab. Simpel, aber nur dann effektiv, wenn es koordiniert auf vielen Bäumen gleichzeitig passiert.
Dann gibt’s da noch den Bacillus thuringiensis, ein natürlich vorkommendes Bakterium, das gezielt die Larven angreift. Klingt öko und clever – funktioniert allerdings nur, wenn man es im richtigen Moment einsetzt und das Wetter mitspielt.
Und schließlich der biologische Trumpf: Meisen. Diese gefiederten Helfer lieben Raupen. Wer also Nistkästen im Garten aufhängt, unterstützt die natürliche Kontrolle. Doch auch hier gilt: Ohne Vielfalt im Lebensraum bleibt selbst die beste Meise machtlos.
Nicht zu vergessen: das manuelle Entfernen der Nester. Vor allem im Winter, wenn die Tiere noch träge sind, steigen mutige Helfer mit Schutzausrüstung in luftige Höhen, um die Gespinste zu beseitigen. Das ist mühsam, gefährlich – aber manchmal nötig.
Warum klappt die Bekämpfung nicht besser?
Weil’s kompliziert ist. Jede Maßnahme für sich genommen hilft – ein bisschen. Doch ohne einen gemeinsamen, großflächigen Plan bleiben viele Aktionen nur Tropfen auf dem heißen Stein. Eine flächendeckende Koordination fehlt oft, vor allem in kleinen Gemeinden mit begrenzten Mitteln.
Und ehrlich gesagt: Die vollständige Ausrottung dieser Tiere? Illusion. Vielmehr geht es darum, mit ihnen zu leben – kontrolliert, informiert und vorbereitet.
Die Stunde der Kommunen
Zunehmend liegt die Verantwortung bei den lokalen Behörden. Einige Städte und Dörfer haben schon eigene Verordnungen erlassen. Andere setzen auf Aufklärungskampagnen: Wie erkenne ich ein Nest? Was tun bei einem Stich? Wie schütze ich meine Familie?
Aber: Viele Kommunen fühlen sich alleingelassen. Zwischen Verwaltungschaos, Sparzwängen und mangelnder Expertise bleiben viele Fragen offen. Braucht es nicht endlich einen nationalen Notfallplan?
Eine Lehre fürs Klima – und fürs Leben
Diese kleinen Raupen sind nicht bloß ein Forstproblem. Sie zeigen auf fast schon schmerzhafte Weise, wie tief der Klimawandel in unser Leben eingreift. Was einst regional begrenzt war, ist heute ein Symptom eines viel größeren Problems.
Doch statt zu resignieren, können wir lernen. Vor allem, dass ökologischer Wandel uns überall begegnet – manchmal auf sechs kleinen Beinen mit Widerhaken. Dass Prävention oft besser ist als Nachsorge. Und dass Zusammenarbeit der Schlüssel ist – zwischen Behörden, Bürgern, Forschenden und der Natur selbst.
Wie wär’s mit einer Vision? Eine Welt, in der Städte so grün sind, dass natürliche Feinde der Raupen sich wohlfühlen. In der Kinder im Frühling unbeschwert draußen spielen können, ohne dass sie Ausschlag riskieren. In der Biodiversität nicht nur auf dem Papier steht, sondern in jedem Park spürbar ist.
Denn auch wenn diese haarigen Krabbler uns einiges abverlangen – sie erinnern uns daran, dass jedes System aus dem Gleichgewicht geraten kann, wenn man nicht genau hinsieht.
Von Andreas M. Brucker
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