Am 5. Dezember wird weltweit der Internationale Tag des Ehrenamtes begangen – ein Anlass, der stillen Leistung von Millionen Menschen eine Stimme verleiht. Wer sich freiwillig engagiert, stützt nicht nur soziale Strukturen, sondern formt aktiv das gesellschaftliche Fundament mit. In Zeiten zunehmender Polarisierung, globaler Krisen und dem spürbaren Wandel sozialer Bindungen kommt dem Ehrenamt eine Schlüsselrolle zu. Der Blick auf Deutschland und Frankreich zeigt: Gesellschaftliches Engagement ist kein Selbstläufer – aber es ist ein unersetzlicher Kitt in modernen Demokratien.
Ehrenamt als stiller Motor
In Deutschland gilt das Ehrenamt seit Jahrzehnten als zentrale Säule zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Millionen Bürgerinnen und Bürger engagieren sich regelmäßig – ob in der Freiwilligen Feuerwehr, im Sportverein, der Nachbarschaftshilfe oder bei der Integration Geflüchteter. Der Staat fördert dieses Engagement strukturell über Programme, Freistellungen, Anerkennungssysteme oder steuerliche Vorteile. Die Kultur des „aktiven Bürgers“ ist in der politischen Rhetorik ebenso präsent wie im gesellschaftlichen Selbstverständnis.
Anders als in stärker zentralisierten Gesellschaften beruht das deutsche Modell des Ehrenamts auf föderalen, dezentralen Strukturen. Es ist tief eingebettet in das Vereinswesen, das vielerorts das Rückgrat lokaler Gemeinschaften bildet. In ländlichen Regionen übernimmt das Ehrenamt oft Funktionen, die staatliche Institutionen nicht mehr flächendeckend leisten können – vom Katastrophenschutz bis zur Jugendarbeit.
Frankreich: Engagement zwischen Staat und Republik
Auch Frankreich kennt eine ausgeprägte Tradition des freiwilligen Engagements – jedoch mit anderen kulturellen und institutionellen Prägungen. Der französische Republikanismus setzte historisch lange auf eine starke Rolle des Staates, wodurch bürgerschaftliche Selbstorganisation weniger Raum erhielt als im deutschen Modell. Engagement geschieht dort häufiger im Rahmen staatlich initiierter Programme oder als Reaktion auf soziale Missstände – etwa in der Banlieue-Arbeit, in der Armutsbekämpfung oder in der internationalen Solidarität.
Gleichwohl hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in Frankreich ein Wandel vollzogen. Das Vereinswesen ist gewachsen, besonders in urbanen Räumen und im Kulturbereich. Staatliche Programme wie der „Service Civique“ zielen auf eine jüngere Generation ab, die über einen zeitlich befristeten Freiwilligendienst an gemeinnützige Arbeit herangeführt wird. Doch das Engagement bleibt stärker zentral gesteuert, weniger flächendeckend in der Breite verankert – und wird von sozialen Ungleichheiten geprägt.
Engagement im Wandel: Herausforderungen für beide Länder
Trotz aller Unterschiede stehen Frankreich und Deutschland vor ähnlichen Herausforderungen: Die Frage nach der sozialen Diversität des Ehrenamts ist zentral. Denn noch immer engagieren sich überdurchschnittlich häufig Menschen mit höherem Bildungsgrad, stabilen finanziellen Verhältnissen und festem sozialem Netz. Menschen mit Migrationsgeschichte, geringerem Einkommen oder unsicherem Aufenthaltsstatus sind im Ehrenamt deutlich unterrepräsentiert – obwohl sie in vielen Fällen selbst auf Unterstützung angewiesen sind oder in ihren Communitys tragende Rollen übernehmen.
Zudem verändert sich die Struktur des Engagements: Klassisches, langfristiges Ehrenamt tritt zunehmend in den Hintergrund, während projektbezogenes, flexibles Engagement – sogenannte „Mikro-Ehrenämter“ – an Bedeutung gewinnt. Das stellt viele Organisationen vor neue Herausforderungen in der Bindung von Freiwilligen, der Qualifizierung und der strukturellen Absicherung.
Gerade in Krisenzeiten – sei es während der Pandemie, der Flutkatastrophe oder angesichts internationaler Flüchtlingsbewegungen – zeigte sich jedoch die Resilienz der Zivilgesellschaft: Dort, wo staatliche Strukturen an ihre Grenzen stießen, sprangen häufig Ehrenamtliche ein. Sie leisteten nicht nur konkrete Hilfe, sondern vermittelten ein Gefühl von Zugehörigkeit und Solidarität – in beiden Ländern.
Engagement braucht Anerkennung – und politische Gestaltung
Der Internationale Tag des Ehrenamtes erinnert daran, dass bürgerschaftliches Engagement keine Selbstverständlichkeit ist. Es braucht gesellschaftliche Wertschätzung, aber auch politische Rahmenbedingungen, die Teilhabe ermöglichen: Bildung, Zeitressourcen, rechtliche Sicherheit, inklusive Strukturen. Frankreich und Deutschland verfolgen dabei unterschiedliche Wege – doch beide sind gefordert, das Ehrenamt fit für die Zukunft zu machen.
Dazu gehören nicht nur symbolische Gesten, sondern konkrete politische Weichenstellungen: Förderung von Engagement in benachteiligten Milieus, Digitalisierung von Ehrenamtsstrukturen, bessere Vereinbarkeit mit Erwerbsarbeit sowie Absicherung im Falle von Haftung oder Unfällen. Nur so kann sichergestellt werden, dass freiwilliges Engagement nicht zur sozialen Zusatzaufgabe weniger Privilegierter verkommt, sondern zu einem echten Instrument demokratischer Mitgestaltung für alle wird.
Denn eines eint beide Gesellschaften – über alle Unterschiede hinweg: Ohne das Ehrenamt würden viele soziale, kulturelle und humanitäre Leistungen schlichtweg nicht existieren. Wer sich engagiert, trägt dazu bei, dass aus Gesellschaft Gemeinschaft wird. Am 5. Dezember – und an jedem anderen Tag.
Autor: P. Tiko
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