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Ein weiterer Meilenstein im Chlordécone-Skandal: Die Pariser Verwaltungsberufungsgericht hat am 11. März die Verantwortung des französischen Staates offiziell anerkannt. Doch die Entscheidung fällt ernüchternd aus – nur eine Handvoll Opfer erhält eine Entschädigung. Ein Urteil, das für viele nicht weit genug geht.

Anerkennung der staatlichen Schuld – aber mit Einschränkungen

Über Jahrzehnte hinweg wurde das hochgiftige Pestizid Chlordécone in den Bananenplantagen der französischen Überseegebiete Guadeloupe und Martinique eingesetzt. Trotz frühzeitiger Warnungen genehmigte der Staat die Verwendung weiterhin – eine Fehlentscheidung mit dramatischen Folgen. Jetzt hat das Gericht festgestellt, dass der Staat durch das Zulassen und Verlängern der Chlordécone-Nutzung schwere Versäumnisse begangen hat.

Doch die eigentliche Frage lautet: Wer hat Anspruch auf Entschädigung?

Das Gericht entschied, dass der Staat für „den moralischen Schaden durch Angst“ aufkommen muss – allerdings nur, wenn die betroffenen Personen eine „nachgewiesene und dauerhafte“ Exposition gegenüber dieser Umweltverschmutzung belegen können. In Zahlen bedeutet das: Von 1.286 Klägern haben lediglich zehn Personen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung.

„Moralischer Schaden durch Angst“ – eine Hürde für viele Betroffene

Was genau ist mit „moralischem Schaden durch Angst“ gemeint? Laut Gericht bezieht sich dies auf Menschen, die durch den Kontakt mit Chlordécone einem hohen Risiko ausgesetzt sind, an einer schweren Krankheit zu erkranken – in diesem Fall insbesondere an Prostatakrebs.

Doch nicht jeder, der nachweislich mit dem Giftstoff in Berührung kam, bekommt eine Entschädigung. Das Gericht stellte klar: Eine bloße Behauptung der Exposition reicht nicht aus. Vielmehr müssen Blutanalysen und Umweltstudien den direkten Kontakt mit verseuchten Böden, Wasserquellen oder Lebensmitteln belegen.

Diese enge Definition sorgt für Empörung. Schließlich zeigen Studien, dass über 90 % der erwachsenen Bevölkerung in Martinique und Guadeloupe Chlordécone im Blut haben. Warum also wird die Mehrheit der Opfer ausgeschlossen?

Ein Gift mit Langzeitfolgen

Die gesundheitlichen Auswirkungen von Chlordécone sind verheerend. Schon 1979 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Pestizid als „möglicherweise krebserregend“ ein. Dennoch wurde es in Frankreich bis 1990 zugelassen – und in den französischen Überseegebieten sogar bis 1993 durch eine Sondergenehmigung weiterverwendet.

Heute sind Martinique und Guadeloupe weltweit Spitzenreiter bei der Häufigkeit von Prostatakrebs. Doch nicht nur Männer sind betroffen: Forschungen deuten darauf hin, dass Chlordécone auch Frühgeburten begünstigt und die kognitive Entwicklung von Kindern beeinträchtigen kann.

„Ein erster Schritt, aber nicht genug“

Reaktionen auf das Urteil liessen nicht lange auf sich warten. Während einige die Entscheidung als „Sieg“ feiern, kritisieren viele die restriktive Auslegung des Schadensbegriffs.

Rechtsanwalt Christophe Lèguevaques, einer der Vertreter der Kläger, spricht von einem „Präzedenzfall“ – nicht nur für Chlordécone, sondern auch für andere Umweltskandale wie Glyphosat oder PFAS-Chemikalien. Gleichzeitig zeigt er sich enttäuscht, dass nur so wenige Opfer berücksichtigt wurden.

„Dieses Urteil ignoriert die nachgewiesenen Auswirkungen von Chlordécone auf die gesamte Bevölkerung“, bemängelt er. Ein Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sei daher nicht ausgeschlossen.

Auch Umweltaktivisten und Politiker äußern gemischte Gefühle. Während die grüne EU-Abgeordnete Marie Toussaint die Entscheidung als „wichtigen Sieg“ einordnet, spricht der guadeloupische Senator Victorin Lurel von einem „großen Fortschritt“, dem jedoch weitere Schritte folgen müssen.

Der Kampf um Gerechtigkeit ist also noch lange nicht vorbei. Doch eines ist sicher: Die Anerkennung der staatlichen Schuld ist ein bedeutender Schritt – auch wenn er für viele Betroffene noch nicht weit genug geht.

Von C. Hatty

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