Tag & Nacht

Es ist eine kleine Sensation: In der Seine, mitten in Paris, wurden drei Arten von Süßwassermuscheln entdeckt, die eigentlich als vom Aussterben bedroht galten. Wer hätte gedacht, dass sich diese empfindlichen Lebewesen ausgerechnet hier wieder ansiedeln? Die überraschende Entdeckung zeigt, dass sich der Fluss erholt – ein Erfolg jahrzehntelanger Umweltschutzmaßnahmen.

Vom Abwasserkanal zum Lebensraum

Noch in den 1960er-Jahren galt die Seine als biologisch tot. Industrieabwässer, ungeklärte Haushaltsabfälle und giftige Chemikalien hatten den Fluss in eine trübe, stinkende Brühe verwandelt. Fische? Fast verschwunden. Muscheln? Keine Chance.

Doch dann kam der Wendepunkt. Seit rund 50 Jahren investiert Frankreich massiv in die Wasseraufbereitung – und es zeigt Wirkung. Der Nachweis von bedrohten Muschelarten wie der Mulette épaisse, der Mulette des rivières und der Anodonte comprimée ist ein klares Zeichen: Die Wasserqualität hat sich verbessert. „Diese Arten sind äußerst empfindlich. Sie siedeln sich nur dort an, wo die Gewässer sauber genug sind“, erklärt der Ökologe Vincent Vignon, der an der aktuellen Studie beteiligt war.

Warum ist das eine so gute Nachricht?

Muscheln sind die unsichtbaren Helfer der Natur. Eine einzelne Muschel kann täglich bis zu 40 Liter Wasser filtern – und damit Schadstoffe, Bakterien und Mikroplastik aus dem Fluss entfernen. Je mehr Muscheln also in der Seine leben, desto sauberer bleibt sie. Ein natürlicher Kreislauf, der sich selbst verstärkt.

Aber wie haben es diese empfindlichen Tiere ausgerechnet in die Seine geschafft, mitten in eine Großstadt mit Millionen Menschen?

Stadtlicht als Lebenshilfe?

Eine Theorie, die Forscher derzeit untersuchen: Das künstliche Licht in Paris könnte ungewollt helfen. Warum? Die Straßenbeleuchtung reflektiert im Wasser und regt das Wachstum von Phytoplankton an – der Hauptnahrung der Muscheln. Ein kurioser Nebeneffekt der urbanen Infrastruktur, der diesen seltenen Weichtieren vielleicht in die Karten spielt.

Natürlich ist Lichtverschmutzung für viele Arten eher problematisch. Doch in diesem speziellen Fall könnte sie ironischerweise zum Erhalt der Muschelpopulation beitragen. Die Forschung dazu läuft noch, aber fest steht: Die Natur überrascht uns immer wieder mit ihrer Widerstandsfähigkeit.

Mehr Fische als je zuvor

Die Muscheln sind nicht die einzigen Rückkehrer. Neben der Wasserqualität haben Wissenschaftler auch die Fischbestände untersucht – mit beeindruckenden Ergebnissen. In den 1960er-Jahren konnte man in der Seine gerade mal drei bis vier Fischarten nachweisen. Heute sind es 36 verschiedene Arten, also zehnmal so viele!

Darunter sind nicht nur robuste Spezies, sondern auch solche, die sauberes Wasser brauchen – ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Seine in den letzten Jahrzehnten massiv verbessert hat.

Naturschutz wirkt – aber bleibt es so?

Die Rückkehr der Muscheln ist eine Erfolgsgeschichte. Doch sie ist auch eine Erinnerung daran, dass Umweltschutz nie abgeschlossen ist. Die anhaltende Verschmutzung durch Mikroplastik, der Klimawandel und mögliche neue Schadstoffquellen könnten das empfindliche Gleichgewicht schnell wieder ins Wanken bringen.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis: Naturschutz funktioniert. Sauberes Wasser, gesunde Ökosysteme – all das lässt sich erreichen, wenn genug investiert und gehandelt wird. Die Seine beweist es.

Von Andreas M. B.


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