Am Amazonas wird dieser Tage wieder verhandelt. Groß, global, gewichtig. Die COP30 – die mittlerweile dreißigste Klimakonferenz der Vereinten Nationen – ist in Brasilien gestartet. Die Erwartungen sind ebenso hoch wie diffus. Denn was kann man von Konferenzen noch erwarten, die seit Jahrzehnten Lösungen versprechen, während die CO₂-Kurve fröhlich weiter ansteigt?
Einer, der nicht mehr auf politische Wunder wartet, sondern längst selbst zur Tat geschritten ist, ist Corentin de Chatelperron. Der französische Ingenieur ist bekannt für seine „Low-Tech“-Missionen – und hat nun mit seiner Partnerin Caroline Pultz ein Experiment gewagt, das mehr über die Zukunft verrät als viele Sonntagsreden: ein Jahr Leben in einem 28-Quadratmeter-Apartment, bestückt mit nachhaltigen Erfindungen aus aller Welt.
Ihr Credo: Weniger reden, mehr machen.
Low-Tech statt High-Tech-Hoffnung
„Ich hoffe natürlich, dass diese COP etwas bringt“, sagt Chatelperron im Interview mit franceinfo. Aber gleichzeitig formuliert er die Frage, die sich viele längst stellen: Was, wenn wir aufhören, auf Lösungen von oben zu warten?
Es ist nicht Resignation, sondern Pragmatismus, der aus diesen Worten spricht. Seit über zehn Jahren reist Chatelperron um die Welt – nicht in Businessclass, sondern auf einem selbstgebauten Segelschiff. In 25 Ländern suchte er nach simplen, effektiven Technologien, die helfen, Wasser zu reinigen, Energie zu erzeugen oder Nahrungsmittel lokal anzubauen – ganz ohne High-Tech, dafür mit viel Hirnschmalz.
Sein neues Projekt: all diese Ideen zusammenführen und auf kleinstem Raum in einer Pariser Vorstadt umsetzen. Das Ergebnis ist das sogenannte „Appartement du futur“ – ein Mikrokosmos der Nachhaltigkeit, gebaut mit den Mitteln der Gegenwart.
Ein Leben auf 28 Quadratmetern – aber wie?
Was nach Verzicht klingt, ist in Wahrheit eine Einladung zum Umdenken. In ihrer Mini-Wohnung in Boulogne-Billancourt entwickelten Chatelperron und Pultz ein Ökosystem, das auf lokalen Kreisläufen basiert: Regenwasser wird gefiltert, Küchenabfälle kompostiert, das Duschwasser fließt durch ein Biotop, das Kräuterbeete speist.
Und ja – auch Sportgeräte kommen zum Einsatz. Ein Rudergerät, das gleichzeitig Energie erzeugt und das Frühstück warm macht. Fitness mit Funktion, sozusagen. Nicht für alle ein Modell, räumt Chatelperron ein. Doch genau darum gehe es: „Es ist nicht das Ziel, dass jeder alles übernimmt. Sondern dass jeder etwas übernimmt.“
Zwischen Alltag und Utopie
Natürlich wirkt manches noch exotisch. Etwa der Versuch, Grillen als Fleischersatz zu züchten – der eher am Herz als am Hunger scheiterte. „Sie haben gezirpt – und wir konnten sie einfach nicht essen“, erzählt er lachend.
Aber viele Ideen sind überraschend alltagstauglich. Etwa ein Kräutergarten, der sich selbst mit aufbereitetem Abwasser versorgt. Basilikum, Minze, Schnittlauch – frisch, nährstoffreich, ohne Transportwege. Oder modulare Möbel, die sich je nach Tageszeit und Nutzung umbauen lassen. Ein Arbeitsplatz wird zum Bett, ein Regal zur Küche.
Der Clou: Die Bewohner führten ein Jahr lang präzise Buch. CO₂-Bilanzen, Energiekosten, Ergonomie, psychische Belastung – alles wurde wissenschaftlich begleitet. Das Ergebnis? Ein drastisch reduzierter ökologischer Fußabdruck – und ein überraschend hoher Lebenskomfort.
Die stille Revolution
Doch wie bringt man solche Ideen in die Breite? Auch hier bleibt Chatelperron pragmatisch. „Wir arbeiten mit Gemeinden, mit Schulen, mit Unternehmen. Es geht nicht darum, die Welt zu retten – sondern sie neu zu denken.“ Und das beginnt oft im Kleinen: beim Stromverbrauch, beim Kochen, beim Heizen.
Wer will, kann mitmachen. Ohne App, ohne Blockchain, ohne Subventionen. Ein Solarofen, eine Wurmkiste, eine Komposttoilette – manchmal genügt ein bisschen Wille und ein Schraubenzieher.
Doch reicht das? Kann man wirklich das große Ganze beeinflussen, wenn man sein Duschwasser zum Blumengießen nutzt?
Eine berechtigte Frage.
Chatelperron hat darauf keine ideologische, sondern eine persönliche Antwort. „Ich habe entdeckt, dass dieses Leben nicht nur die Umwelt schützt – sondern auch mich selbst. Es macht zufrieden. Langsamer, klarer, gesünder.“
Vielleicht liegt genau darin die größte Hoffnung: Dass Nachhaltigkeit nicht als Last empfunden wird, sondern als Gewinn. Nicht als Entbehrung, sondern als Entdeckung.
Ein Modell für alle?
Natürlich ist nicht jeder bereit, in ein Low-Tech-Apartment zu ziehen oder morgens auf einem Rudergerät das Rührei zu kochen. Und natürlich braucht es weiterhin globale Regeln, politische Steuerung, technologische Innovation.
Aber solange die großen Räder sich nur langsam drehen, bleibt die Frage: Warum nicht schon mal anfangen, sich selbst zu verändern?
Die Antwort kennt jeder – wenn er ehrlich ist.
Denn wie Chatelperron sagt: „Man kann viel tun, ohne auf andere zu warten.“
Autor: Andreas M. Brucker
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