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Nachdem Frankreich nun auch die 100.000er-Marke bei den Todesfällen durch Covid-19 überschritten hat, erwägt die Regierung auf Wunsch der Hinterbliebenen und Verbände einen nationalen Gedenktag für die Opfer der Pandemie. Einem Forscher zufolge ist die Auseinandersetzung mit dem Tod und das Reden darüber ein wesentlicher Schritt, um den Verlust voll und ganz anzunehmen.

Ohne das Datum einer möglichen nationalen Ehrung bereits zu nennen, bekräftigte der Regierungssprecher Gabriel Attal am Mittwoch, 14. April, dass auch in Frankreich „natürlich diesen Moment der Ehrerbietung und der Trauer der Nation“ zugunsten der Opfer des Coronavirus geben werde.

Der Verein der Opfer von Covid-19, bestehend seit April 2020, hat im Namen der trauernden Familien seit mehreren Monaten zu dieser nationalen Trauer aufgerufen. „Damit all diese sehr persönlichen Todesfälle nicht auf eine einfache Zahl in der Tabelle der Geschichte reduziert werden“, plädiert Lionel Petitpas, 70 Jahre, Mitbegründer Gemeinschaft der Familien. Er selbst verlor seine Frau im März 2020, die innerhalb einer Woche von der ersten Welle der Pandemie hinweggefegt wurde. „Sie gab mir einen kleinen Wink, als sie ging. Ich habe sie nie wieder gesehen, weder lebendig noch tot“, sagt er.

„Von dem Moment an, als sie starb, gehörte meine Frau nicht mehr zu mir. Sie war in dem System gefangen“, beschreibt Lionel seinen Verlust. „Es war mir völlig verboten, sie zu sehen. Sie legten sie nackt in einen Leichensack, den ich einen Luxus-Müllsack nenne, und dann in einen wasserdichten Sarg. Alles passierte ohne uns, das Beerdigungsinstitut, das Krematorium. Meine Frau, ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist!“

Im März skizzierte Emmanuel Macrons Stabschef in einem Brief in Beantwortung einer Anfrage von Lionel Petitpas schließlich die Hoffnung auf einen Gedenktag. „Ich kann Ihnen mitteilen, dass Überlegungen im Gange sind, einen Tag einzurichten, der dem Gedenken an diejenigen gewidmet ist, die von der Pandemie hinweggefegt wurden“, schrieb er.

„Über den Tod sprechen“ – jenseits der Zahlen

„Es ist wichtig, einen Gedenktag einzurichten, vorausgesetzt, er findet in einer Form statt, die die Familien anspricht“, erklärte Marie-Frédérique Bacqué, Direktorin des Internationalen Zentrums für Todesstudien, auf Nachfrage von France 24. „Aber es ist von grundlegender Bedeutung, dass diese Ehrung eine Zeit bietet, die das Sprechen erleichtert und es den Betroffenen ermöglicht, sich zu äußern“, sagte sie und mahnt, dass Schweigeminuten nicht diese Wirkung haben.

Die Psychologin und Psychoanalytikerin erinnert daran, dass „das Reden über den Tod uns gut tut“. „Der Tod kommt sicher, aber wir wissen nicht, wann er eintreten wird.“ Das Reden über den Tod soll uns ermöglichen, die Ereignisse zu relativieren und das Leben in der zur Verfügung stehenden Zeit voll und ganz anzunehmen.

Viele Familien konnten aus gesundheitlichen Gründen nicht wie übliche von ihren Verstorbenen Abschied nehmen. Auch wenn ein letzter Blick auf die Verstorbenen für die Familie heute wieder erlaubt ist, geht dies nur in eng begrenzter Zahl begrenzter Zahl und unter großen Vorsichtsmaßnahmen. Versammlungen von mehr als dreißig Personen bei religiösen Zeremonien und Beerdigungen sind immer noch untersagt. „Und was ist mit dem Leichenschmaus, der ein wichtiger Moment für die Familien ist“, fügt Marie-Frédérique Bacqué hinzu, die daran erinnert, dass dieses Jahr der Einschränkungen nicht nur die Familien der Covid-19-Opfer betraf, sondern alle Angehörigen und Freunde der Verstorbenen, die ihnen die letzte Ehre erwiesen wollten.

Gedenktage in Italien und Deutschland

Die Notwendigkeit einer nationalen Ehrung wurde auch durch den Abgeordneten von Maine-et-Loire Matthieu Orphelin in die Nationalversammlung eingebracht. Der Abgeordnete brachte am 6. April einen Gesetzesentwurf ein, der die Einführung eines nationalen Gedenktages für die Opfer an jedem 17. März vorsieht, in Anlehnung an den Beginn des ersten Lockdowns in Frankreich.

Anderswo in Europa ist dies bereits geschehen. In Italien wurde der 18. März ein Tag zum Gedenken an die Opfer der Pandemie, und es soll ein jährliches Ereignis werden. Vergangenen Monat fand eine Zeremonie in Bergamo statt, einer der am stärksten von der ersten Welle betroffenen italienischen Städte. In einem „Erinnerungswald“ sollen hundert junge Bäume gepflanzt werden. In wenigen Tagen wird Deutschland an der Reihe sein, eine Gedenkfeier für die fast 80.000 Menschen abzuhalten, die bei der Covid-19-Katastrophe ums Leben kamen.

In Spanien, in Madrid, wurde im Zentrum der Hauptstadt ein Denkmal für die Toten errichtet, das die Inschrift „Ihre Flamme wird in unseren Herzen nie erlöschen“ trägt. Und in Großbritannien, wo die Kirchenglocken während einer Schweigeminute am 23. März läuteten, Boris Johnson die Errichtung eines Denkmals in Form eines Gartens im Osten der britischen Hauptstadt ankündigte.


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