Tag & Nacht


Der Süden Frankreichs kennt das Spiel mit dem Wasser. Manchmal leise, manchmal bedrohlich. Doch was sich in diesen Tagen im Département Hérault abspielt, sprengt selbst die Erfahrungswerte einer Region, die an meteorologische Extreme gewöhnt ist. Seit Dienstag, dem 23. Dezember 2025, steht das Département weiter unter roter Hochwasserwarnstufe. Rote Warnstufe – das klingt bürokratisch, meint aber etwas sehr Konkretes: Gefahr für Leib und Leben, für Häuser, Straßen, Gewissheiten.

Ausgegeben wurde diese höchste Alarmstufe von Météo-France, und sie gilt nicht aus Vorsicht, sondern aus Notwendigkeit. Die Niederschläge der vergangenen Tage haben den Boden förmlich aufgeweicht, ihn in einen Schwamm verwandelt, der längst nichts mehr aufnehmen kann. In und um Montpellier fielen binnen kurzer Zeit bis zu 130 Liter Regen pro m2. Zahlen, die trocken wirken, bis man sieht, was sie anrichten.

Der Fluss Hérault, sonst ein ruhiger Begleiter des Alltags, ist zum Hauptdarsteller geworden. Besonders in seinem Unterlauf, dort, wo er sich Richtung Mittelmeer bewegt, stieg der Pegel schneller, als viele reagieren konnten. In Agde verschwanden Promenaden unter braunem Wasser, als hätte der Fluss beschlossen, sich seinen historischen Raum zurückzuholen. Die gemessenen Werte erinnern an die großen Überschwemmungen der Jahre 1994 und 1995. Mehr als drei Jahrzehnte ist das her – für viele Bewohner eine ferne Erinnerung, für Jüngere eine völlig neue Erfahrung.

Der Scheitelpunkt der Flut wurde am Montagabend gegen 20 Uhr erreicht, doch Entwarnung klingt anders. Zwar ließ der Regen nach, doch Wasser folgt eigenen Gesetzen. Es kommt verzögert, sammelt sich, drückt nach. Straßen bleiben gesperrt, Nebenachsen verwandeln sich in Rinnsale, dann in Ströme. Wer dachte, ein kurzer Blick reiche, stand plötzlich vor Absperrbändern und Blaulicht.



Auch der Alltag bekam Risse. Rund tausend Haushalte saßen zeitweise ohne Strom, allein in Montpellier mehr als fünfhundert. Techniker arbeiteten unter Hochdruck, während Feuerwehr und Rettungsdienste pausenlos ausrückten. Hunderte Anrufe gingen ein, Menschen mussten aus gefährdeten Bereichen gebracht, Keller leergepumpt, Tiere in Sicherheit gebracht werden. Öffentliche Orte wurden vorsorglich geschlossen, Parks verriegelt, selbst vertraute Ausflugsziele blieben unzugänglich. Für viele fühlte sich das an wie ein Stillstand mitten im Weihnachtsgeschäft. Ziemlich bitter, um es salopp zu sagen.

Die Präfektur reagierte mit einem engmaschigen Überwachungs- und Einsatzkonzept. Durchsagen, Warnmeldungen, klare Appelle. Nicht durch überflutete Straßen fahren. Abstand zu Flussufern halten. Zuhause bleiben, wenn es geht. Das klingt banal, rettet aber Leben. In solchen Momenten zeigt sich, wie dünn die Linie zwischen Routine und Ausnahmezustand verläuft.

Meteorologisch betrachtet handelt es sich um einen klassischen, wenn auch außergewöhnlich heftigen sogenannten mediterranen Starkregen. Warme, feuchte Luftmassen steigen vom Mittelmeer auf und treffen in der Höhe auf kältere Luft. Das Ergebnis sind ortsfeste Gewitterzellen, die stundenlang Regen abladen, als gäbe es kein Morgen. Normalerweise ein Phänomen des Herbstes, diesmal jedoch ein winterlicher Nachzügler mit Wucht. Die Böden, ohnehin gesättigt von vorangegangenen Niederschlägen, verloren jede Pufferfunktion. Die Flüsse reagierten prompt.

Der Hérault ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall, aber ein Lehrbuchbeispiel. Kurze Einzugsgebiete, schnelle Reaktionszeiten, dichte Besiedlung entlang der Wasserläufe. All das verstärkt die Wirkung solcher Ereignisse. Historisch gesehen gab es immer wieder schwere Hochwasser, doch die aktuelle Lage zeigt erneut, wie verletzlich selbst moderne Infrastruktur bleibt. Brücken, Straßen, Stromnetze – vieles ist auf Normalität ausgelegt, nicht auf Extreme.

Und genau hier beginnt die größere Debatte. Denn diese Flut steht nicht isoliert. Sie reiht sich ein in eine Serie von Wetterereignissen, die häufiger auftreten, intensiver, unberechenbarer. Klimatische Veränderungen verschieben Muster, verlängern Risikoperioden, erhöhen die Fallhöhe. Das ist keine Panikmache, sondern nüchterne Beobachtung. Wer heute entlang des Hérault steht und auf das Wasser blickt, versteht intuitiv, was Statistiken oft abstrakt formulieren.

Nach Angaben der Wetterdienste bleibt die rote Warnstufe mindestens bis zum 24. Dezember bestehen. Erst wenn die Pegel nachhaltig sinken und keine neuen Niederschläge drohen, wird eine Herabstufung denkbar. Auch benachbarte Départements stehen unter erhöhter Beobachtung. Es ist ein regionales Ereignis, kein lokales Missgeschick.

Für die Menschen vor Ort ist es vor allem eines: eine Bewährungsprobe. Für Behörden, für Einsatzkräfte, für Nachbarschaften. Man hilft sich, tauscht Informationen aus, bringt Sandsäcke, kocht Kaffee für Helfer. Diese kleinen Gesten tragen durch große Lagen. Und sie erinnern daran, dass Resilienz nicht nur aus Beton und Deichen besteht, sondern aus Gemeinschaft.

Der Fluss wird sich wieder zurückziehen. Das tut er immer. Zurück bleiben Schlamm, Schäden, Fragen. Wie bauen wir künftig? Wo lassen wir dem Wasser Raum? Und wie bereiten wir uns auf Ereignisse vor, die früher als Ausnahme galten und heute fast schon zur Regel tendieren? Antworten darauf brauchen Zeit, Geld und politischen Willen. Aber sie beginnen mit dem genauen Hinsehen – jetzt, während das Wasser noch hoch steht.

Von C. Hatty

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