Tag & Nacht

Die Arktis hat eine erschreckende Nachricht für uns: Neue Studien zeigen, dass der Permafrost, der seit Jahrtausenden als Kohlenstoffspeicher fungierte, mittlerweile mehr Kohlendioxid (CO₂) freisetzt, als er aufnimmt. Diese Entwicklung ist nicht nur ein Weckruf, sondern ein Alarmsignal – eines, das den globalen Klimawandel auf eine neue, gefährlichere Ebene hebt.

Was bedeutet das? Es geht um einen der größten Kipppunkte unseres Klimasystems, der nicht mehr in ferner Zukunft droht, sondern direkt vor unseren Augen geschieht.


Was ist Permafrost und warum ist er wichtig?

Permafrost – das sind Böden, die mindestens zwei Jahre in Folge dauerhaft gefroren bleiben. In der Arktis sprechen wir oft von Böden, die seit Zehntausenden von Jahren unter Eis und Schnee versiegelt sind. Darin gefangen: gewaltige Mengen an Kohlenstoff. Man schätzt, dass die Permafrostregionen der Erde etwa 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff enthalten – mehr als doppelt so viel wie derzeit in der Atmosphäre schwebt.

Doch diese Böden sind empfindlich. Mit den steigenden globalen Temperaturen tauen sie auf, und Mikroorganismen beginnen, das organische Material in den Böden zu zersetzen. Dabei entsteht Kohlendioxid oder, unter bestimmten Bedingungen, Methan – ein noch viel stärkeres Treibhausgas. Was jahrtausendelang sicher gespeichert war, wird nun freigesetzt.


Das entscheidende Ungleichgewicht

Wissenschaftler beobachten den Kohlenstoffaustausch des Permafrosts seit Jahrzehnten. In der Vergangenheit war der Permafrost ein „Kohlenstoffsenker“ – er nahm mehr Kohlenstoff auf, als er abgab. Aber die jüngsten Studien zeigen eine dramatische Kehrtwende: Er emittiert heute netto mehr Kohlendioxid, als er speichert. Ein Beispiel? Forscher berichten, dass in der kalten Jahreszeit, wenn der Boden normalerweise stabil bleibt, die Emissionen nun stark ansteigen. Das bedeutet, dass der Taufprozess selbst im Winter weitergeht – ein Zeichen dafür, wie tiefgreifend die Erwärmung wirkt.

Warum ist das so brisant? Der Kohlenstoffausstoß aus dem Permafrost ist keine menschliche Aktivität, die wir mit politischen Maßnahmen direkt regulieren können. Es ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Je mehr Permafrost taut, desto mehr Treibhausgase werden freigesetzt, was die Erderwärmung weiter beschleunigt. Ein Teufelskreis.


Ein Kipppunkt, der uns alle betrifft

Was passiert, wenn dieser Prozess außer Kontrolle gerät? Die Klimawissenschaft spricht hier von „Kipppunkten“ – Schwellen, bei deren Überschreiten sich das System in einen neuen, oft irreversiblen Zustand bewegt. Der Permafrost-Kipppunkt könnte weltweit Konsequenzen haben: Ein zusätzlicher Schub an Treibhausgasen, der uns noch weiter weg von den Pariser Klimazielen treibt.

Ein Gedanke, der immer wieder aufkommt: Ist das der Anfang vom Ende der Kontrolle über den Klimawandel? Ein unangenehmer Gedanke, nicht wahr? Aber die Wissenschaft betont: Noch haben wir Handlungsspielraum.


Lokale Dramen in einer globalen Krise

Die Auswirkungen des Permafrosttautens beschränken sich nicht nur auf CO₂ und Methan. In den betroffenen Regionen erleben Menschen eine drastische Veränderung ihrer Umwelt. Gebäude und Infrastruktur, die auf gefrorenem Boden errichtet wurden, geraten ins Wanken – buchstäblich. Straßen brechen ein, Pipelines reißen. Ganze Dörfer müssen umziehen, weil die Böden unter ihnen verschwinden.

Doch es sind nicht nur Menschen, die leiden. Auch die Ökosysteme der Arktis stehen unter Druck. Lebensräume für Tiere wie den Eisbären oder das Karibu schrumpfen. Gleichzeitig werden neue, wärmeliebende Arten in die Region eingeschleppt, was das fragile Gleichgewicht zusätzlich belastet.


Technologische Hoffnungsträger?

Ist das Tauwetter des Permafrosts unumkehrbar? Leider können wir die bereits freigesetzten Gase nicht zurückholen. Aber es gibt Technologien, die helfen könnten, das Tauen zu verlangsamen. Eine Idee ist das „Refreezing“ – das künstliche Wiedergefrieren von Permafrostböden durch gezielte Maßnahmen, wie zum Beispiel das Anlegen von Schnee- oder Eisschichten. Doch solche Ansätze befinden sich noch im experimentellen Stadium und sind mit hohen Kosten verbunden.

Letztlich bleibt die wichtigste Strategie: Die globale Erwärmung zu bremsen. Jede Tonne CO₂, die wir heute einsparen, könnte zukünftige Freisetzungen aus dem Permafrost verhindern.


Der Mensch am Scheideweg

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich eine Frage: Warum handeln wir nicht entschlossener? Vielleicht liegt es daran, dass der Permafrost ein abstraktes Problem für viele ist. Man sieht ihn nicht – er liegt verborgen unter einer kalten, weißen Decke. Doch seine Freisetzung betrifft uns alle. Die zusätzliche Belastung des Klimasystems durch die Arktis ist wie ein Tropfen in einem Fass, das bereits überläuft.

Die neue Erkenntnis, dass der Permafrost jetzt netto Emissionen freisetzt, sollte uns wachrütteln. Aber es darf nicht bei der Erkenntnis bleiben. Was brauchen wir, um aus dieser Einsicht echte Handlungen zu machen? Neue Gesetze? Bessere Technologien? Oder einfach mehr Mut?


Ein Funken Hoffnung

Es wäre falsch, die Dramatik dieser Studien zu unterschätzen. Aber ebenso falsch wäre es, die Hoffnung zu verlieren. Die Wissenschaft hat uns gezeigt, dass die Zukunft nicht in Stein gemeißelt ist. Ja, wir stehen vor einer Herausforderung gigantischen Ausmaßes, aber genau darin liegt auch unsere Chance. Ob wir diese nutzen – das liegt allein an uns.

Werden wir den Permafrost weiterhin als tickende Zeitbombe ignorieren, oder lernen wir endlich, mit der Dringlichkeit umzugehen? Die Zeit wird es zeigen. Aber eines ist sicher: Die Arktis hat uns eine Botschaft geschickt. Die Frage ist, ob wir zuhören.


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