Der 19. August ist ein stiller, aber gewichtiger Gedenktag. Der Welttag der humanitären Hilfe erinnert an Frauen und Männer, die in Krisenregionen dieser Welt unter Einsatz ihres Lebens versuchen, Leid zu lindern. Er wurde nach dem verheerenden Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad 2003 eingeführt, bei dem 22 Helfer ihr Leben verloren. Zwei Jahrzehnte später ist die Arbeit humanitärer Organisationen nicht sicherer geworden – im Gegenteil: Sie findet immer häufiger unter gezieltem Beschuss statt.
Gaza: Hilfe im permanenten Ausnahmezustand
Kaum eine Region steht derzeit sinnbildlicher für die Gefahren humanitärer Arbeit als der Gazastreifen. Die massiven Zerstörungen, die Belagerungssituation und der Mangel an elementaren Gütern wie Trinkwasser, Medikamenten und Lebensmitteln machen jede Hilfe zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Auch die Helfenden selbst geraten ins Visier. Lokale wie internationale Organisationen berichten von blockierten Hilfslieferungen, Angriffen auf Konvois und dem Fehlen sicherer Korridore. Krankenhäuser, die als neutrale Orte gelten müssten, werden bombardiert oder müssen unter katastrophalen Bedingungen arbeiten. Wer dort medizinische Hilfe leistet, riskiert nicht nur Erschöpfung, sondern oft sein Leben. Gaza zeigt in brutaler Klarheit, wie sehr das humanitäre Völkerrecht erodiert.
Sudan und Jemen: Vergessene Tragödien
Während Gaza die Schlagzeilen dominiert, geraten andere humanitäre Katastrophen in den Hintergrund. Im Sudan hat der Machtkampf zwischen Militär und Paramilitär eine der größten Vertreibungswellen Afrikas ausgelöst. Millionen Menschen sind auf der Flucht, doch Hilfskorridore bleiben versperrt. Auch im Jemen, wo der Bürgerkrieg seit fast einem Jahrzehnt andauert, ist die Zivilbevölkerung zwischen Fronten, Hunger und zerstörter Infrastruktur gefangen. Hier wie dort werden Helfer bedroht, entführt oder in ihrer Arbeit systematisch behindert. Die humanitäre Krise wird so zur politischen Waffe.
Ukraine: Krieg an der Peripherie Europas
Auch die Ukraine zeigt die neue Dimension humanitärer Arbeit. Seit Beginn der russischen Invasion wurden hunderte Krankenhäuser beschädigt oder zerstört. Helfer stehen vor der doppelten Herausforderung, einerseits Soforthilfe zu leisten, andererseits langfristige Strukturen für Millionen Binnenvertriebene zu schaffen. Dass selbst im Herzen Europas grundlegende Regeln des Schutzes von Zivilisten und medizinischem Personal missachtet werden, hat eine ernüchternde Symbolkraft.
Das Muster der Entgrenzung
So unterschiedlich die Konflikte erscheinen mögen, eines verbindet sie: Humanitäre Prinzipien, einst in Genfer Konventionen und internationalem Recht festgeschrieben, verlieren ihre Bindekraft. Neutralität schützt nicht mehr, das Rote Kreuz ist kein Garant für Sicherheit. Zivile Infrastruktur wird gezielt angegriffen, Hilfslieferungen blockiert, Helfer kriminalisiert. In dieser Entgrenzung spiegelt sich die Verrohung internationaler Politik, in der das Leid der Zivilbevölkerung zu einem strategischen Faktor degradiert wird.
Solidarität und Verantwortung
Der Welttag der humanitären Hilfe darf nicht zu einer ritualisierten Gedenkminute verkommen. Er ist eine Mahnung an Staaten wie Gesellschaften, dass humanitäre Hilfe nicht nur eine Frage der Großzügigkeit ist, sondern eine völkerrechtliche Verpflichtung. Gaza, Sudan, Ukraine oder Jemen zeigen, dass es nicht allein um Lebensmittelpakete und Medikamente geht, sondern um die Verteidigung eines Mindestmaßes an Zivilisation. Wer heute Helfer angreift, greift die Grundidee menschlicher Solidarität an.
Humanitäre Hilfe braucht politischen Schutz, sichere Zugänge, klare Verantwortlichkeiten. Vor allem aber braucht sie eine Weltöffentlichkeit, die nicht abstumpft. In einer Zeit, in der die Zahl der humanitären Krisen steigt und ihre Brutalität zunimmt, ist der 19. August ein Prüfstein für unsere Fähigkeit zur Empathie – und für unseren Willen, die Schutzlosen nicht sich selbst zu überlassen.
Autor: Andreas M. Brucker
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