Tag & Nacht




Die jüngsten Ereignisse in den USA, der Türkei und Israel fügen sich in ein weltpolitisches Muster ein, das seit Jahren an Kontur gewinnt: Der Autoritarismus kehrt zurück – nicht als Rückfall in vergangene Zeiten, sondern als bewusste Strategie, Macht zu zentralisieren und demokratische Institutionen zu entwerten. In dieser Gemengelage spielt Donald Trump eine Schlüsselrolle. Unter seiner Führung wandelt sich die politische Kultur der Vereinigten Staaten – des einstigen Vorreiters liberaler Demokratien – in eine Richtung, die bis vor wenigen Jahren undenkbar schien.

Die neue Realität spiegelt sich in massiven Protesten wider: In Istanbul gingen zehntausende Menschen auf die Straße, nachdem der oppositionelle Bürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu, verhaftet worden war – ein offenkundiger Versuch des Erdogan-Regimes, einen populären Herausforderer für kommende Wahlen auszuschalten. In Israel wiederum versammelten sich Demonstranten in Jerusalem und Tel Aviv, um gegen die von Premierminister Netanjahu forcierte Absetzung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes zu protestieren – ein Vorgang, der weniger Sicherheitsinteressen zu dienen scheint als der Absicherung der eigenen politischen Macht.

In den Vereinigten Staaten sind es bislang keine Straßenproteste, die das Bild prägen, sondern ein institutioneller Umbau, der auf leisen Sohlen daherkommt, aber nicht weniger tiefgreifend ist. Die zweite Präsidentschaft Trumps verspricht, was sein Umfeld offen andeutet: die Transformation der USA in ein System, das sich von den Grundprinzipien der Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und politischen Neutralität der Verwaltung zunehmend entfernt.

Ein Bericht des schwedischen V-Dem-Instituts bringt die Entwicklung in Zahlen: Erstmals seit Beginn der Erhebungen leben weltweit mehr Menschen in Autokratien als in Demokratien. Nahezu drei Viertel der Weltbevölkerung sind betroffen – der höchste Stand seit 1978. Demokratien schrumpfen, Autokratien expandieren. Und die Vereinigten Staaten sind laut V-Dem Teil dieses globalen Trends.

Unter Trump ist die Aushöhlung demokratischer Normen zum Regierungsprinzip geworden. Der US-Präsident verfolgt eine Strategie der Loyalitätsbesetzung: Schlüsselpositionen in Justiz, Verwaltung und Nachrichtendiensten werden mit Getreuen besetzt – ein Ansatz, der sich weniger am Verfassungsstaat als am Modell illiberaler Demokratien orientiert. In Ungarn hat Viktor Orbán vorgemacht, wie eine solche „Demokratur“ funktioniert: Formell demokratisch, de facto autoritär.

Auch Netanjahu scheint diesen Weg zu beschreiten. Die Entlassung von Ronen Bar, dem Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, wird von Beobachtern als Teil eines umfassenden Angriffs auf die Unabhängigkeit der israelischen Institutionen gewertet. Sie reiht sich ein in eine Serie von Maßnahmen, mit denen die Regierung versucht, politische Verantwortung für Versäumnisse – wie den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 – abzuwenden. Netanjahu, der sich selbst als Ziel und Opfer einer politisierten Justiz sieht, findet dabei rhetorische Parallelen bei Donald Trump, der von einem „Deep State“ fabuliert, der gegen gewählte Führer arbeite.

Der Fall Imamoglu in der Türkei geht noch weiter. Neben seiner Festnahme wurde auch sein Universitätsabschluss nachträglich annulliert – eine Maßnahme, die offenbar verhindern soll, dass er sich in der Präsidentschaftswahl zur Wahl stellt. Der politische Gegner wird damit nicht nur diskreditiert, sondern systematisch entmachtet – mit juristischer Fassade, aber autoritärem Kern.

Was diese Entwicklungen eint, ist nicht nur die Methode, sondern die Reaktion der internationalen Gemeinschaft: Sie bleibt verhalten. Der Westen, lange Zeit selbstgewiss im Export demokratischer Werte, zeigt sich gelähmt. Das liegt auch daran, dass die Vereinigten Staaten, früher moralisches Rückgrat der liberalen Weltordnung, diesen Anspruch unter Trump aufgegeben haben. Menschenrechte, Pressefreiheit, Gewaltenteilung – sie rangieren nicht mehr oben auf der Agenda.

Für Akteure wie Erdogan, Netanjahu oder Orbán bedeutet das Rückenwind. Sie wissen, dass sie weder ernsthafte Sanktionen noch diplomatische Isolation zu befürchten haben. Im Gegenteil: In einer Weltordnung, die zunehmend von Großmachtrivalitäten statt von normativen Werten geprägt ist, werden sie als nützliche Partner in geopolitischen Fragen gebraucht – ob in Syrien, der Ukraine oder im Wettbewerb mit China.

Die Normalisierung des Autoritären vollzieht sich somit nicht nur in Ankara, Jerusalem oder Washington, sondern auch im internationalen Umgang mit diesen Entwicklungen. Es ist bezeichnend, dass der Kreml jüngst die Annäherung zwischen Putin und Trump als Beginn einer „neuen Weltordnung“ feierte – einer Ordnung, in der gegenseitiger Respekt vor allem bedeutet, autoritäre Ambitionen nicht zu stören.

Für Europas Demokratien ist diese Lage eine Herausforderung. Sie verlieren einen entscheidenden Verbündeten – nicht notwendigerweise militärisch, aber normativ. Die transatlantische Partnerschaft, lange getragen von gemeinsamen Werten, steht vor einem Bruch. Die Gewohnheit, mit den USA als moralischer Führungsmacht zu rechnen, ist nicht mehr tragfähig.

Die Zukunft des Liberalismus entscheidet sich daher nicht nur an den Wahlurnen, sondern auch in der Standhaftigkeit demokratischer Institutionen. Doch ihre Verteidiger stehen zunehmend unter Druck – und oft alleine. Die Entwicklung verlangt nach Klarheit im politischen Denken und nach Konsequenz im Handeln. Denn was sich derzeit abzeichnet, ist mehr als ein regionaler Rückschritt. Es ist ein globaler Paradigmenwechsel.

P.T. & MAB

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