Ein stilles Drama mit erschütternder Tragweite beschäftigt derzeit die Justiz im französischen Dijon: Eine junge Frau, gerade einmal 25 Jahre alt, wurde Ende Oktober tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Nun hat die Staatsanwaltschaft eine offizielle Untersuchung wegen „Anstiftung zum Suizid gegen Unbekannt“ eingeleitet – und der Fall bekommt eine internationale Dimension.
Denn die Familie der jungen Frau, Marie, ist überzeugt: Sie war beim Suizid nicht allein. Über das Internet, genauer gesagt über eine Webseite mit Sitz in Nordamerika, soll sie aktiv begleitet worden sein – Schritt für Schritt bis zum letzten Atemzug.
Ein Blick ins digitale Grauen
Was ihre Angehörigen nach dem Tod in Maries Computer fanden, lässt kaum jemanden unberührt. Der Bericht eines virtuellen Kontakts beschreibt nüchtern, fast seelenlos, wie Marie langsam verstummte. „Atmung wird ruhiger. Sehr langsame Atmung. Kein hörbares Atmen mehr. Dann steht da: Ende des Gesprächs. Stille.“
Ein digitaler Abschied – kalt dokumentiert.
Der Familie wurde beim Lesen dieser Zeilen schlagartig klar: Hier war jemand dabei. Vielleicht nicht im selben Raum, aber verbunden über den Bildschirm – als stille, vielleicht sogar ermutigende, Begleitung. Marie war auf einer Plattform aktiv, die nach Angaben ihrer Angehörigen nicht nur Suizide thematisiert, sondern diese gezielt „unterstützt“. Als sie nach Maries Tod erneut auf die Seite zugreifen wollten, erhielten sie die Nachricht, dass der Account gesperrt wurde. War das ein stilles Eingeständnis?
Juristische Hürden – und ein politisches Echo
Die französische Justiz steht nun vor einer komplexen Aufgabe. Zwar läuft ein Ermittlungsverfahren – doch die Plattform befindet sich im Ausland, genauer: in den USA. Das bedeutet: internationale Zusammenarbeit, langwierige Prozesse und schwierige Beweislagen.
Die örtliche Abgeordnete Josiane Corneloup zeigt sich entsetzt. „Ich bin bestürzt und erschüttert, dass Suizid auf diese Weise gefördert wird“, sagt sie offen. Sie hat bereits politische Schritte eingeleitet: Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufgenommen, den Direktor von Google Frankreich informiert und den Innenminister alarmiert. Eine erste Reaktion gibt es bereits: Einige Links zur Webseite wurden aus den Suchergebnissen entfernt. Doch die Seite selbst bleibt online – vorerst.
Warum nicht einfach abschalten? Ganz so einfach ist es eben nicht. Eine laufende Untersuchung erfordert rechtliche Vorsicht, sonst drohen Beweise verloren zu gehen. Außerdem handelt es sich um einen Anbieter außerhalb der EU – und damit außerhalb des direkten französischen Zugriffs.
Andere Länder, wie Deutschland, haben allerdings bereits Maßnahmen ergriffen und den Zugang zu dieser Plattform gesperrt. Frankreich scheint nun nachzuziehen.
Eine Familie kämpft – und lässt nicht locker
Maries Angehörige fordern klar die Schließung der Seite. Für sie steht fest: Diese Plattform hat mit dazu beigetragen, dass ihre Tochter, Schwester und Ehefrau nicht mehr lebt. Sie wollen nicht nur Gerechtigkeit – sie wollen verhindern, dass noch mehr junge Menschen auf dieselbe Weise in die Dunkelheit gezogen werden.
Und wie viele andere gibt es da draußen wohl, die in solchen Foren Halt suchen – und stattdessen in den Tod begleitet werden?
Der Fall erinnert in seiner Tragik an ähnliche internationale Debatten über problematische Inhalte im Netz. Es geht nicht nur um Meinungsfreiheit oder Tabus – es geht um Schutz. Um Menschenleben. Und um die Frage: Wo endet digitale Verantwortung?
Ein Urteil gibt es noch nicht. Aber eines ist sicher: Marie hätte diesen Weg nicht gehen dürfen – und vielleicht, mit mehr Schutz und rechtzeitiger Hilfe, gar nicht erst gehen müssen.
Autor: C.H.
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