Mit knapper Mehrheit hat das US-Repräsentantenhaus am 3. Juli 2025 das Gesetz „One Big Beautiful Bill“ verabschiedet – ein zentrales Projekt von Donald Trumps zweiter Amtszeit. Der Name des Gesetzes ist Programm: Umfangreiche Steuererleichterungen sollen die Wirtschaft ankurbeln, doch die Schattenseiten sind gravierend. Die Reform knüpft direkt an Trumps erste große Steuerreform von 2017 an, geht jedoch in mehreren Punkten deutlich weiter.
Die Verheißung: mehr Netto vom Brutto
Die Kernelemente des „One Big Beautiful Bill“ (OBBBA) lesen sich zunächst wie ein klassisches wirtschaftsliberales Wachstumsprogramm. Die Steuererleichterungen des „Tax Cuts and Jobs Act“ aus dem Jahr 2017 werden dauerhaft festgeschrieben. Neu hinzu kommen ein zusätzlicher Freibetrag von 6.000 US-Dollar für Senioren mit einem Jahreseinkommen unter 75.000 Dollar, Steuerbefreiungen für Trinkgelder und Überstunden sowie eine deutliche Erhöhung des SALT-Freibetrags für Bundesstaats- und Kommunalsteuern von bislang 10.000 auf künftig 40.000 US-Dollar. Damit reagiert die republikanische Regierung auf langjährige Forderungen aus Staaten mit hoher Steuerlast wie New York oder Kalifornien.
Während die Regierung betont, dass vor allem die arbeitende Mittelschicht entlastet werde, verweisen Kritiker auf eine faktische Umverteilung zugunsten der oberen Einkommensschichten und Unternehmen. Schon das Gesetz von 2017 hatte nach Berechnungen des Congressional Budget Office (CBO) vor allem Spitzenverdienern genutzt. Daran dürfte sich wenig ändern: Die neuen Abzüge und Freibeträge lassen insbesondere wohlhabendere Steuerzahler profitieren.
Sparen bei den Schwächsten
Um die Einnahmeausfälle zu kompensieren, setzt das Gesetz auf drastische Kürzungen bei Sozialleistungen. Besonders betroffen sind Medicaid – die Krankenversicherung für Geringverdiener – sowie das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), das Millionen Amerikaner mit Lebensmittelmarken unterstützt. Laut CBO könnten durch die geplanten Einsparungen bis zu 11,8 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung verlieren. Gleichzeitig werden die Anforderungen an Bezieher von Sozialhilfe verschärft: Wer keine Arbeitsstelle nachweisen kann, verliert Anspruch auf Unterstützung. Die Republikaner argumentieren, dies stärke den Anreiz zur Erwerbstätigkeit. Sozialverbände warnen hingegen vor wachsender Armut und neuen Versorgungslücken.
Sicherheit statt Soziales
Neben Steuersenkungen und Sozialkürzungen enthält das Gesetz massive Investitionen in Grenzsicherung und Verteidigung. Geplant sind Mittel für neue Grenzanlagen, mehr Abschiebungsmaßnahmen und den Ausbau des umstrittenen „Golden Dome“-Raketenabwehrsystems. Für Trump und seine Unterstützer sind diese Projekte Kernbestandteile eines härteren Kurses in der Sicherheits- und Migrationspolitik. Kritiker sehen darin überdimensionierte Ausgaben, die weder die sozialen Verwerfungen noch das wachsende Haushaltsdefizit abfedern.
Ökonomischer Impuls – aber zu welchem Preis?
Ökonomen rechnen kurzfristig mit einem moderaten Wachstumsimpuls: Laut Wall Street Journal könnte das BIP 2026 um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte steigen. Die Kombination aus Steuersenkungen und neuen Staatsausgaben wirkt zunächst konjunkturstützend – ein Effekt, der jedoch schnell verpuffen könnte. Auf lange Sicht drohen laut CBO deutliche Belastungen: Das Staatsdefizit könnte in den kommenden zehn Jahren um 3,4 Billionen US-Dollar steigen. Mittelfristig wird ein Rückgang des BIP um 0,3 Prozent bis 2034 prognostiziert, langfristig sogar ein Minus von 4,6 Prozent über drei Jahrzehnte. Grund sind die wachsende Schuldenlast und potenziell steigende Zinsen, die private Investitionen verdrängen könnten.
Politischer Pyrrhussieg
Die Abstimmung im Repräsentantenhaus fiel denkbar knapp aus: Zwei republikanische Abgeordnete verweigerten Trump die Gefolgschaft, während alle Demokraten geschlossen gegen das Gesetz stimmten. Der demokratische Minderheitsführer Hakeem Jeffries sprach von einem „Tatort für den amerikanischen Sozialstaat“ und sprach fast neun Stunden lang, um die Abstimmung zu verzögern. Trotz des Widerstands konnte Trump sein Prestigeprojekt durchsetzen – ein Signal an seine Wählerbasis, dass er auch in seiner zweiten Amtszeit an seiner Agenda festhält.
Ein Blick zurück: Parallelen zur Reagan-Ära
Die Parallelen zu Ronald Reagans Steuerreform von 1981 drängen sich auf: Auch damals versprachen massive Steuersenkungen Wirtschaftswachstum, während Sozialausgaben zurückgefahren wurden. Die Folge war ein kurzfristiger Aufschwung, gefolgt von rasant steigenden Defiziten und wachsender sozialer Ungleichheit. Viele Experten sehen im „One Big Beautiful Bill“ eine Neuauflage dieser Politik – angepasst an die Gegenwart, aber mit ähnlichen Risiken.
Es ist zweifelhaft, ob Trumps Wette aufgeht. Einerseits vertrut ver darauf, dass Steuererleichterungen Wachstum generieren und Unternehmen zu mehr Investitionen bewegen. Andererseits schwächt die Umverteilung von unten nach oben die Binnenkaufkraft jener Gruppen, die ohnehin jeden Dollar zweimal umdrehen müssen. Sollten Konjunktur und Arbeitsmarkt schwächeln, drohen zusätzliche Belastungen für ein Sozialsystem, das gleichzeitig geschrumpft wird.
In einer polarisierten politischen Landschaft steht das Gesetz sinnbildlich für Trumps Wirtschaftspolitik: große Versprechen, kurzfristige Gewinne – und ein Preis, der sich erst in einigen Jahren vollständig zeigen wird.
Autor: Andreas M. Brucker
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