Donald Trump trat seine zweite Amtszeit mit großspurigen Plänen für den Gazastreifen an. Er versprach Frieden nach über einem Jahr verheerender Kriegshandlungen, machte die islamistische Hamas und seinen Amtsvorgänger Joe Biden für das palästinensische Desaster verantwortlich und präsentierte eine ebenso visionäre wie realitätsferne Idee: Gaza solle entvölkert, vollständig übernommen und als luxuriöses Touristenziel wiederaufgebaut werden. Doch nach über 100 Tagen im Amt scheint Trump das Interesse an Gaza weitgehend verloren zu haben.
Eine im März zusammengebrochene Waffenruhe wurde kaum von der US-Regierung unterstützt, während sich der diplomatische Fokus des Weißen Hauses zunehmend auf Iran verlagerte. Die israelischen Luftangriffe und Bodenoffensiven begannen von Neuem – mit schwerwiegenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Von Immobilienprojekten oder einer Neugestaltung des Gazastreifens ist inzwischen keine Rede mehr.
Ein Gebiet unter vollständiger Belagerung
Seit über 60 Tagen blockiert Israel nahezu vollständig die Einfuhr humanitärer und kommerzieller Güter in den Gazastreifen. Die Lage für die ohnehin notleidende Bevölkerung hat sich damit dramatisch verschärft. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen teilte kürzlich mit, dass seine Lager leer seien. Bäckereien und Suppenküchen rationieren die letzten Vorräte. UN-Experten warnen vor einem baldigen Ausbruch einer Hungersnot – ein Szenario, das immer greifbarer wird.
Menschen vor Ort berichten von einer katastrophalen Lage. „Die jetzige Situation ist mit Abstand die schlimmste Phase dieses Krieges“, sagte Haroun al-Khatib, ein 29-jähriger Bewohner, dessen Familie ihre während der Waffenruhe gesammelten Vorräte beim überstürzten Rückzug zurücklassen musste. Mohammed Murtaja, 25 Jahre alt und mit rund 40 Verwandten in Gaza-Stadt lebend, erklärte: „Wir verbringen unsere Tage damit, Wasser und Essen zu suchen, Akkus zu laden, damit wir nachts etwas sehen können – und warten darauf, zu sterben.“
Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens wurden nach Angaben lokaler Behörden seit dem 7. Oktober 2023 vertrieben. Die militärische Offensive Israels, ausgelöst durch einen tödlichen Angriff der Hamas mit über 1.200 Toten und hunderten Entführungen, hat die zivile Infrastruktur weitgehend zerstört. Die Zahl der Todesopfer liegt nach palästinensischen Angaben mittlerweile bei deutlich über 50.000.
Die israelische Strategie: Kontrolle statt Rückzug
Israelische Stellen betonen, dass kein Mangel an Hilfsgütern bestehe, und rechtfertigen die Blockade mit kaum belegten Behauptungen, dass die Hamas Hilfsgüter in großem Stil umleite. Tom Fletcher, der humanitäre Koordinator der UN, sprach hingegen am Donnerstag von einer „grausamen kollektiven Bestrafung“ der Bevölkerung. Er appellierte an die israelischen Behörden, die Blockade zu beenden: „Lassen Sie die humanitäre Hilfe zu, retten Sie Leben.“
Statt auf Deeskalation zu setzen, scheint Israel seine Kontrolle über das Gebiet weiter auszubauen. Etwa 70 Prozent des Gazastreifens wurden in den vergangenen sechs Wochen entweder zu militärischen „roten Zonen“ erklärt oder evakuiert. Die Pufferzonen entlang der Grenze zu Ägypten wurden vergrößert. Diese Maßnahmen dienen laut israelischer Regierung der Sicherheit und dem Druck auf die Hamas, die noch immer Geiseln festhält. Mehrere israelische Regierungsmitglieder deuteten zugleich an, dass eine längere Besatzung des Gazastreifens durchaus erwogen werde.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte am Donnerstag in einer Rede, dass es ohne Erfüllung der militärischen Ziele keinen Lösung für die Palästinenser geben werde: „Die Freilassung der Geiseln ist ein wichtiges Ziel, aber das höchste Ziel dieses Krieges ist der Sieg über unsere Feinde.“ Noch deutlicher äußerte sich der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich, der erklärte, Israels Feldzug werde erst enden, wenn „Gaza von der Hamas gesäubert ist und Hunderttausende Palästinenser auf dem Weg in andere Länder sind“.
Trumps Fokus verlagert sich – neue Allianzen in Sicht?
Trump bereitet derzeit eine Reise nach Saudi-Arabien vor, die als Auftakt zu neuen Friedensvereinbarungen in der Region gelten soll. In jüngsten Interviews erklärte er, Riad werde bald den sogenannten „Abraham-Abkommen“ beitreten – jenen Normalisierungsverträgen, die Trump in seiner ersten Amtszeit zwischen Israel und mehreren arabischen Monarchien vermittelt hatte. Doch saudische Vertreter zeigen sich bislang zurückhaltend. Ohne substanzielle Fortschritte bei der Lösung des Palästinenserkonflikts sei ein diplomatischer Durchbruch mit Israel undenkbar, hieß es aus Riad.
Bei Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag äußerte der saudische Vertreter Mohamed Saud Alnasser scharfe Kritik: Israels Vorgehen sei „barbarisch“ und ziele auf „ethnische Säuberung“. Man wolle die palästinensische Bevölkerung vertreiben oder töten, um das Gebiet annektieren zu können.
Internationale Kritik prallt an Israels Regierung ab
Trotz zunehmender internationaler Verurteilung zeigt sich die israelische Regierung unbeeindruckt. Viele Politiker im Land sehen in den Vereinten Nationen ein voreingenommenes Gremium. Gilad Erdan, ehemaliger israelischer UN-Botschafter, forderte sogar die vollständige Entfinanzierung und Auflösung der Organisation. „Israel muss eine globale Kampagne anführen, um die UN vollständig zu zerschlagen“, erklärte er auf einer Konferenz am vergangenen Wochenende.
Die Entwicklungen der letzten Wochen zeigen: Weder Trump noch die israelische Regierung scheinen derzeit an einer tragfähigen Lösung für Gaza interessiert zu sein. Die humanitäre Krise verschärft sich, während politische Visionen entweder ins Leere laufen oder von langfristigen Besatzungsplänen überlagert werden. Die Menschen im Gazastreifen bleiben in einer Situation gefangen, die sich mit jedem Tag weiter zuspitzt.
Von Andreas Brucker
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