Tag & Nacht


Legalize it – oder verbieten bis zur letzten Patrone? Kaum eine Frage spaltet die Drogenpolitik so sehr wie diese: Muss man Drogen legalisieren oder härter bestrafen, um dem Drogenhandel endlich den Boden zu entziehen?

Frankreich und Deutschland liefern zwei gegensätzliche Antworten – und machen deutlich, dass es längst nicht mehr nur um Substanzen geht. Sondern um Sicherheit, Gesellschaft und den Umgang mit einer Realität, die längst vor der Haustür liegt.


Frankreichs harter Kurs – und seine Schatten

In Marseille knallen die Schüsse, in Nanterre greifen Spezialeinheiten durch, in Lille zirkulieren Drogen wie Cola-Dosen im Supermarktregal. Frankreich hat ein Problem mit dem Narcotrafic, dem Drogenhandel – und es ist gewaltig. Die Regierung antwortet mit Härte: mehr Polizei, schärfere Gesetze, längere Strafen. Besitz, Handel, auch kleine Mengen – alles wird rigoros verfolgt. Nicht selten bedeutet das: Jugendlicher mit Joint – 1 Jahr Haft möglich.

Doch der Erfolg bleibt aus. Die Drogen zirkulieren weiter, die Dealer rekrutieren schneller, als Staatsanwälte Anklagen schreiben können. Und in manchen Vierteln ist der Drogenverkauf längst Alltag – mit eigener Infrastruktur, eigenen Gesetzen, eigenen Autoritäten. Die Szene hat sich fest etabliert – mitten in der Republik.

Und das wirft Fragen auf. Denn was nützt ein noch so entschlossener Strafapparat, wenn die Wirkung verpufft? Wenn statt Abschreckung Resignation eintritt? Wenn Repression nicht das Netz kappt, sondern nur die sichtbaren Fäden zerschneidet?


Deutschlands Weg: kontrollieren statt kriminalisieren

Im Vergleich wirkt Deutschland fast schon liberal. Zumindest beim Thema Cannabis hat sich das Land für einen Richtungswechsel entschieden: Erwachsene dürfen seit diesem Jahr begrenzte Mengen legal besitzen. Clubs statt Clans, Aufklärung statt Abschreckung – so lautet die Devise. Die Polizei? Soll sich künftig auf wirklich gefährliche Substanzen konzentrieren, nicht auf Gelegenheitskonsumenten im Park.

Der Grundgedanke: Wer den Markt kontrolliert, kann ihn auch zivilisieren. Was legal ist, muss nicht mehr heimlich gekauft werden. Und was aus der Schmuddelecke kommt, kann auch präventiv begleitet werden – mit Beratung, Tests, Hilfe im Notfall.

Natürlich gibt es Zweifel: Wird der Schwarzmarkt wirklich verschwinden? Wird der Konsum steigen? Wird Deutschland zum Dealer Europas? Niemand weiß das sicher. Aber es ist ein Versuch, einen jahrzehntelangen Teufelskreis zu durchbrechen – und den Fokus zu verschieben: weg vom Strafrecht, hin zur Gesundheitspolitik.


Zwei Länder, zwei Systeme – und viele Fragen

Der Vergleich ist aufschlussreich – nicht weil eines der Länder „besser“ wäre, sondern weil beide auf ihre Weise symptomatisch sind. Frankreich steht für den klassischen Sicherheitsstaat: klare Linien, harte Regeln, null Toleranz. Deutschland testet das Gegenteil: Regulierung als Antwort auf Kontrollverlust.

Die Ergebnisse? Gemischt. Frankreich hat trotz hoher Repression massive Drogenprobleme – sowohl in urbanen Brennpunkten als auch in strukturschwachen Regionen. Deutschland experimentiert noch, die Effekte der Cannabisfreigabe werden sich erst mittelfristig zeigen. Aber schon jetzt zeichnet sich ab: Die Polizei ist entlastet, viele Konsumenten fühlen sich sicherer, die Zahl der Verfahren sinkt.

Und doch bleibt der Kern des Problems bestehen: der organisierte Handel mit harten Drogen. Crack, Kokain, Heroin – sie machen den Großteil des Umsatzes aus, und hier scheitern beide Länder gleichermaßen. Denn wo Milliarden fließen, ziehen keine Gesetze – sondern Macht, Angst und Gier.


Bestrafen oder legalisieren – oder beides?

Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Vielleicht braucht es einen doppelten Ansatz: eine konsequente Verfolgung der Strukturen – kombiniert mit einer Entkriminalisierung der Nutzer. Vielleicht ist die Zeit vorbei, in der man Drogenpolitik nach dem Motto „hart oder weich“ sortieren konnte.

Wichtiger wäre: Was funktioniert? Was entzieht dem Schwarzmarkt die Luft? Was schützt die Jugend, ohne ganze Generationen zu kriminalisieren?

Die Frage ist nicht nur juristisch. Sie ist moralisch, sozial, gesellschaftlich. Und sie verlangt Mut – auf beiden Seiten des Rheins.


Der europäische Blick: Zeit für gemeinsame Wege?

Es ist paradox: In Europa gibt es einen Binnenmarkt für alles – nur nicht für Drogenpolitik. Die einen verbieten, die anderen liberalisieren, dazwischen herrscht Ratlosigkeit. Doch der Narcotrafic kennt keine Landesgrenzen. Seine Netze reichen von Rotterdam bis Palermo, von Marseille bis Berlin.

Wie lange kann Europa sich noch leisten, das Thema national zu behandeln? Wäre es nicht klüger, Strategien zu vereinen – Repression da, wo nötig, Prävention da, wo möglich?

Vielleicht wird in einigen Jahren eine andere Generation auf diese Debatten blicken – und sich wundern, wie lange wir gebraucht haben, um zu erkennen: Nicht das Verbot macht eine Droge gefährlich, sondern der Umgang mit ihr.

Autor: C. Hatty

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