Tag & Nacht

Der Streit um die Zukunft von X, vormals Twitter, sorgt in Frankreich für hitzige Diskussionen. Seit der Übernahme durch Elon Musk steht die Plattform immer wieder in der Kritik: Desinformation, Hassrede und mutmaßliche politische Einflussnahme des exzentrischen Milliardärs machen sie zum Ziel zahlreicher Angriffe. Nun fordern einige Politiker sogar ein vollständiges Verbot von X in Frankreich. Aber wie realistisch ist das, und welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es tatsächlich?


Ein Netzwerk unter Dauerbeschuss

Elon Musk hat X in vielerlei Hinsicht verändert – allerdings nicht nur zum Positiven. Seit dem Kauf der Plattform hat sich der Umgangston verschärft, und die Moderation scheint zunehmend lückenhaft. Diskurse, die früher in geordneten Bahnen liefen, wirken heute oft wie ein chaotischer Schlagabtausch. Politiker wie Clara Chappaz, die französische Ministerin für Digitalisierung, und Umweltpolitikerin Marine Tondelier sprechen sich offen für ein Verbot der Plattform aus. „Es ist eine Gefahr für die Demokratie“, heißt es immer wieder.

Doch wie realistisch ist ein solches Vorhaben? Während die Empörung in der Öffentlichkeit wächst, bleibt die rechtliche Lage kompliziert.


Die europäischen und französischen Regelungen im Blick

Eine Grundlage für Maßnahmen gegen X bietet die europäische Digital Services Act (DSA), die seit August 2023 für große Plattformen gilt. Diese Regelung richtet sich speziell an Anbieter mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU – also solche, die potenziell gesellschaftlichen Schaden anrichten können. Sie erlaubt unter anderem, Plattformen bei wiederholten Verstößen zeitweise zu blockieren. Das klingt drastisch, aber es gibt Haken: Die Sperre ist auf maximal vier Wochen befristet und kann nur verlängert werden, wenn nationale Gerichte zustimmen.

Ein permanentes Verbot? Davon ist im DSA nicht die Rede. Um eine solche Maßnahme durchzusetzen, müsste X wiederholt gegen Gesetze verstoßen, etwa durch die Verbreitung von Hassrede oder die Gefährdung demokratischer Prozesse. Doch der Beweis hierfür ist ein langwieriges Verfahren, das enge Kooperationen mit der Plattform erfordert – etwas, das Elon Musk bisher eher vermissen lässt.


Stufenweise Sanktionen statt Schnellschuss

Bevor ein vollständiges Verbot überhaupt infrage kommt, müssen zunächst andere Sanktionen ausgeschöpft werden. Dazu gehören finanzielle Strafen, tägliche Bußgelder oder gerichtliche Anordnungen. Frankreich und die EU setzen auf einen schrittweisen Ansatz, bei dem ein vollständiges Verbot nur das letzte Mittel wäre. Auch das zeigt: Ein sofortiges und endgültiges Aus für X ist rechtlich und praktisch kaum umsetzbar.

Zudem hat die EU bereits im Dezember 2023 eine Untersuchung gegen X eingeleitet. Das Ergebnis könnte erste Weichen stellen. Doch selbst nach einem Urteil der EU-Kommission hätte X die Möglichkeit, Berufung einzulegen – ein Prozess, der sich über Jahre hinziehen könnte.


Was kann Frankreich eigenständig tun?

Unabhängig von der EU gibt es auch nationale Hebel. Das französische Gesetz zur Vertrauensbildung in der digitalen Wirtschaft (LCEN) erlaubt es, Inhalte zu blockieren oder zu entfernen, die gegen geltendes Recht verstoßen. Wenn Plattformen solche Inhalte nicht löschen, können sie rechtlich belangt werden. Experten wie Benjamin Sonntag von der Organisation „La Quadrature du Net“ argumentieren, dass X viele Inhalte beherbergt, die eindeutig gegen französisches Recht verstoßen, etwa rassistische oder homophobe Äußerungen. Ein Richter könnte in solchen Fällen Maßnahmen anordnen.

Doch auch hier bleibt ein vollständiges Verbot unwahrscheinlich. Meist konzentrieren sich solche Verfahren auf das Blockieren spezifischer Inhalte, nicht auf die Abschaltung einer gesamten Plattform.


Langer Atem gefragt

Die Debatte zeigt: Ein Verbot von X ist rechtlich möglich, aber politisch wie technisch äußerst kompliziert. Experten betonen, dass solche Maßnahmen oft nur zeitlich begrenzt und symbolisch sind. Ein Blick nach Brasilien untermauert dies: Dort wurde X im August 2023 für kurze Zeit gesperrt, kehrte jedoch zurück, nachdem die Plattform den Forderungen der Gerichte nachgegeben hatte.

Sollte Frankreich tatsächlich ein Verbot anstreben, müsste es viele Hürden überwinden – und X könnte selbst im Falle eines gerichtlichen Erfolgs früher oder später wieder verfügbar sein. Die Frage bleibt also, ob ein solches Vorgehen die gewünschte Wirkung hätte oder ob es nicht andere Wege gibt, die Plattform zu regulieren.


Ein Balanceakt zwischen Freiheit und Kontrolle

Das Dilemma liegt auf der Hand: Einerseits darf Hassrede und Desinformation nicht unkontrolliert Raum gegeben werden. Andererseits steht ein umfassendes Verbot von X im Widerspruch zu fundamentalen Prinzipien wie der Meinungsfreiheit. Kann man eine Plattform abschalten, ohne dabei selbst Grenzen zu überschreiten?

Die Debatte um X zeigt, wie sehr die Regulierung digitaler Räume zum Kraftakt geworden ist. Klar ist: Eine einfache Lösung gibt es nicht – weder in Frankreich noch anderswo in Europa. Doch vielleicht ist genau diese Schwierigkeit ein Signal, die Regeln für Plattformen wie X grundlegend zu überdenken.


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