Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen sorgt international für zunehmende Unruhe – nun haben sich drei einflussreiche westliche Staats- und Regierungschefs gemeinsam zu Wort gemeldet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premierminister Keir Starmer und Kanadas Regierungschef Mark Carney haben Israels militärisches Vorgehen scharf kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung warnten sie vor „konkreten Maßnahmen“, sollte Israel seine Offensive nicht beenden und den uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe gewähren.
Diese diplomatische Offensive markiert eine bemerkenswerte Wende in der Position westlicher Staaten zu Israels Gaza-Politik – und erhöht zugleich den außenpolitischen Druck auf Premierminister Benjamin Netanjahu.
Wachsende westliche Unzufriedenheit
Die Erklärung aus Paris, London und Ottawa fällt in eine Phase wachsender internationaler Kritik. Die Lage im Gazastreifen wird von den drei Regierungschefs als „intolerabel“ beschrieben. Sie verurteilen insbesondere, dass Israel nur eine minimale Menge an Hilfsgütern zulassen will – eine Entscheidung, die aus Sicht der westlichen Staatsführer nicht nur moralisch untragbar, sondern politisch unhaltbar ist.
Der gemeinsame Appell zielt auf einen sofortigen Waffenstillstand, die Wiederaufnahme umfassender humanitärer Lieferungen und auf neue Fortschritte in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung. Damit greifen die Unterzeichner eine Forderung auf, die seit Monaten in den Vereinten Nationen, in der EU und in Teilen der arabischen Welt erhoben wird – bislang jedoch ohne konkrete Folgen.
Jerusalems Gegenposition
Premierminister Netanjahu reagierte auf die internationale Kritik mit unverhohlener Ablehnung. Die Forderungen nach einer Waffenruhe und einer Lockerung der Blockade wertet er als eine „Belohnung für die Hamas“, die dadurch zu weiteren Angriffen ermutigt werde. Er kündigte an, die Militäroperationen unbeirrt fortzusetzen – mit dem Ziel, die Hamas vollständig zu entwaffnen und die Kontrolle über den Gazastreifen dauerhaft sicherzustellen.
In Israel wird das Vorgehen der Regierung von einer Mehrheit der jüdischen Bevölkerung unterstützt, während arabische und linksliberale Kräfte zunehmend Alarm schlagen. Insbesondere Netanjahus Bündnisse mit rechtsextremen Ministern befeuern international die Kritik – etwa aufgrund von Äußerungen, die eine dauerhafte Vertreibung von Palästinensern aus Gaza nahelegen.
Eine dramatisch verschärfte Lage
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist inzwischen ausgesprochen prekär. Hilfsorganisationen berichten von dramatischen Engpässen bei Nahrung, Wasser und Medikamenten. Laut Schätzungen sind bis zu zwei Millionen Menschen in existenzieller Not. Die bisherigen Hilfslieferungen – selbst wenn sie jüngst in begrenztem Umfang wieder anliefen – reichen bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken.
Auch die Weltgesundheitsorganisation und das Welternährungsprogramm schlagen Alarm. Um die humanitäre Infrastruktur zu stabilisieren, wären täglich mehrere hundert Lastwagen mit Hilfsgütern notwendig – bislang wird nur ein Bruchteil davon zugelassen.
Internationale Konsequenzen möglich
Macron, Starmer und Carney stehen mit ihrer Position nicht allein. Eine Gruppe von über 20 Staaten unterstützt den Appell und fordert Israel zur sofortigen Wiederaufnahme umfassender Hilfslieferungen auf. Darüber hinaus wird in diplomatischen Kreisen über gezielte Sanktionen diskutiert – insbesondere gegen Minister, deren Rhetorik als volksverhetzend oder kriegsfördernd angesehen wird.
Ein solcher Schritt wäre ein Novum: Noch nie haben westliche Staaten Sanktionen gegen israelische Regierungsmitglieder verhängt. Zugleich zeigen sich Brüche innerhalb der traditionellen westlichen Solidarität mit Israel – eine Entwicklung, die auch das transatlantische Verhältnis auf die Probe stellt.
Neue Machtachsen im Westen
Dass Emmanuel Macron, Keir Starmer und Mark Carney gemeinsam auftreten, ist politisch bemerkenswert. Macron steht seit Jahren für eine selbstbewusstere europäische Außenpolitik, Starmer sucht nach einem moralisch tragfähigen Kurs jenseits der Nahostpolitik der Vorgängerregierung, und Carney nutzt seine Rolle als progressiver Nachfolger Justin Trudeaus, um sich außenpolitisch zu profilieren.
Alle drei vereint eine nüchterne Einschätzung: Israels aktuelle Gaza-Politik gefährdet nicht nur die Stabilität der Region, sondern unterminiert auch langfristige Friedensperspektiven. Gleichzeitig bekräftigen sie das Existenzrecht Israels und verurteilen die Angriffe der Hamas aufs Schärfste. Ihre Forderung zielt nicht auf eine einseitige Parteinahme, sondern auf eine Balance zwischen der Sicherheit Israels und dem Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Die Frage bleibt, ob die neuen Töne aus dem Westen Netanjahu zum Umdenken bewegen – oder ob sich die Fronten weiter verhärten. Sollte Israel den Druck ignorieren, könnte das westliche Bündnis gezwungen sein, seiner Rhetorik Taten folgen zu lassen. Dann stünde erstmals die Möglichkeit konkreter Sanktionen gegen einen langjährigen Verbündeten im Raum – mit weitreichenden Konsequenzen für die internationale Ordnung.
Autor: P.T.
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