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Ein Mann, der weder Diplomat noch Militärexperte ist, steht plötzlich im Zentrum der globalen Krisendiplomatie: Steve Witkoff, ein 68-jähriger New Yorker Milliardär, wird am 6. August zu Gesprächen in Moskau erwartet. Nur zwei Tage bleiben dann bis zum Ablauf eines Ultimatums, das US-Präsident Donald Trump der russischen Führung gesetzt hat: Bis Freitag soll ein Waffenstillstand in der Ukraine erzielt werden – oder Washington droht mit umfassenden Sanktionen. Witkoff, der als persönlicher Gesandter des Präsidenten agiert, hat in den vergangenen Monaten mehrfach mit Wladimir Putin verhandelt. Seine Rolle wirft Fragen auf – über die neue Außenpolitik der USA, über die Vermischung von Geschäft und Diplomatie und über den Einfluss informeller Netzwerke auf geopolitische Entscheidungen.

Von der Kanzlei zum Golfplatz des Präsidenten

Steve Witkoff ist ein klassisches Produkt des amerikanischen Aufstiegsversprechens. In den 1980er Jahren arbeitete er als Anwalt in einer Kanzlei, die Donald Trump in Immobilienfragen beriet. Die Faszination für den schillernden Unternehmer wurde zur Basis einer langjährigen Freundschaft. Witkoff selbst stieg bald ins Immobiliengeschäft ein und entwickelte sich zu einem der großen Player der Branche. Heute beläuft sich sein Vermögen auf rund zwei Milliarden Dollar.

Die persönliche Loyalität zu Donald Trump blieb über Jahrzehnte bestehen – durch dessen geschäftliche Pleiten, private Skandale und politische Zerreißproben hindurch. Witkoff wich dem Präsidenten auch dann nicht von der Seite, als sich viele Republikaner nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 von Trump distanzierten. Diese Treue wurde belohnt: Nach Trumps Rückkehr ins Weiße Haus im November 2024 zählte Witkoff zu den ersten, die für außenpolitische Schlüsselrollen nominiert wurden.

Zunächst beauftragt mit einer Sondermission im Nahen Osten, half er im Januar 2025 dabei, einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln. Bereits kurz darauf erhielt er ein weiteres Mandat – als Chefverhandler in der Ukraine-Frage, einem Konflikt, den Trump medienwirksam „in 24 Stunden“ zu beenden versprach.

Vier Treffen mit Putin, kein Besuch in Kiew

Seither ist Witkoff zu einer Schlüsselfigur in Washingtons Ukraine-Politik geworden – und das, obwohl er noch nie ukrainischen Boden betreten hat. Stattdessen fokussiert er sich auf den Kreml. Vier Mal traf er sich seit Februar mit Wladimir Putin. Bei seinem ersten Besuch gelang ihm die Freilassung eines in Russland inhaftierten US-Bürgers – ein symbolischer Erfolg, den er medienwirksam inszenierte.

Doch seine Aussagen zur Ukraine stoßen vielerorts auf Kritik. In Interviews äußerte er sich verständnisvoll gegenüber russischen Positionen, relativierte die Verantwortung Moskaus am Krieg und sprach den von Russland in Teilen der Ukraine durchgeführten Schein-Referenden eine gewisse Legitimität zu. Auch die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine stellte er öffentlich infrage – eine Haltung, die in Kiew und bei den europäischen Alliierten der USA Alarm auslöste.

Bemerkenswert ist zudem Witkoffs selbstgewählter Alleingang bei den Gesprächen: Mehrfach reiste er ohne offizielles diplomatisches Protokoll, ohne Delegation und ohne Vertreter des US-Außenministeriums nach Moskau. Als Begründung gab er an, Trump „ungeschönte“ Berichte liefern zu wollen – direkte Informationen, nicht gefiltert durch die Bürokratie.

Diplomatie als Geschäft – und umgekehrt

Steve Witkoff pflegt einen transaktionalen Zugang zur Außenpolitik – ganz im Sinne seines Mentors. Wiederholt betonte er, dass finanzielle Hilfen an Bedingungen geknüpft werden müssten. Für die Ukraine etwa forderte er ein „Business Model“, bevor über amerikanische Unterstützung gesprochen werden könne. Auch über die Erschließung ukrainischer Ressourcen wie Seltene Erden als mögliche Gegenleistung wurde laut nachgedacht.

Diese Ökonomisierung der Diplomatie wirft grundlegende Fragen auf. Geopolitik als Geschäft – ist das pragmatisch oder zynisch? Witkoff jedenfalls sieht keinen Widerspruch. In Interviews beschreibt er Konfliktlösung als Form von „Deal-Making“: Man müsse die Interessen beider Seiten verstehen, Gemeinsamkeiten identifizieren und Differenzen durch kreative Vorschläge überbrücken. Eine Herangehensweise, die in bilateralen Investitionsverhandlungen funktioniert – doch im Kontext eines Angriffskrieges, in dem territoriale Integrität und Völkerrecht zur Disposition stehen, erscheint dieser Ansatz mindestens problematisch.

Unkonventionell, einflussreich – aber auch effektiv?

Der Einfluss Witkoffs auf die amerikanische Außenpolitik unter Trump ist unübersehbar. Nicht wenige Beobachter bezeichnen ihn inzwischen als faktischen Außenminister – eine Rolle, die offiziell Marco Rubio innehat. Beide betonen, sie arbeiteten „exzellent“ zusammen, doch hinter den Kulissen ist das Kräfteverhältnis unausgewogen. Rubio agiert im institutionellen Rahmen, Witkoff genießt direkten Zugang zum Präsidenten.

Derzeit steht Witkoff vor seiner bislang schwierigsten Aufgabe. Mit seinem aktuellen Besuch in Moskau will er letzte Verhandlungsoptionen sondieren, bevor Washington seine angekündigten Sanktionen gegen Russland und möglicherweise auch gegen Drittstaaten wie Indien oder China ausweitet. Die Uhr tickt – und die Erwartungen an eine schnelle Einigung sind niedrig. In diplomatischen Kreisen wächst die Skepsis, ob ein Quereinsteiger ohne außenpolitische Ausbildung der Komplexität des Ukraine-Krieges gewachsen ist.

Dennoch: Witkoff genießt das Vertrauen Trumps, das Wohlwollen des Kreml und eine mediale Aufmerksamkeit, die ihn zum Gesicht einer neuen, informellen Außenpolitik macht. Ob daraus eine Lösung oder ein Desaster erwächst, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Sicher ist nur: Mit Steve Witkoff betritt ein Mann die Bühne der Weltpolitik, der sie nach seinen eigenen Regeln bespielt.

Autor: Andreas M. Brucker

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