Der palästinensische Filmemacher Hamdan Ballal, Mitregisseur des Dokumentarfilms No Other Land, ist in der besetzten Westbank Opfer eines gewaltsamen Übergriffs geworden. Der Vorfall ereignete sich nur wenige Tage nach dem internationalen Erfolg seines Films, der in diesem Jahr mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Ballal macht israelische Siedler und Soldaten für die Tat verantwortlich – und spricht von einem gezielten Akt der Vergeltung.
Laut eigener Darstellung wurde Ballal am Abend des 24. März von Bewohnern seines Heimatdorfes Susya, südlich von Hebron, darüber informiert, dass eine Gruppe israelischer Siedler in den Ort eingedrungen sei. Es war der erste Tag der letzten Ramadan-Woche. Ballal begab sich mit seiner Kamera zum Ort des Geschehens – nicht nur als Dokumentarfilmer, sondern auch in seiner Funktion als Aktivist einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation.
Er habe nur wenige Fotos machen können, so berichtet er, bevor die Situation eskalierte. Dutzende bewaffnete Siedler seien im Dorf unterwegs gewesen, mit aggressivem Verhalten. Ballal zog sich daraufhin in sein Haus zurück – in Sorge um die Sicherheit seiner Familie. Doch kurze Zeit später sei ein bewaffneter Siedler gemeinsam mit zwei israelischen Soldaten zu seiner Haustür gekommen. Die Soldaten hätten Warnschüsse abgegeben, um Anwohner von der Szene fernzuhalten, bevor der Siedler begann, auf ihn einzuschlagen.
„Ich glaubte, ich würde sterben“
Was danach geschah, beschreibt der Filmemacher als einen Übergriff mit gezielter Brutalität. Während einer der Soldaten sein Gewehr auf ihn gerichtet hielt, habe der Siedler ihn wiederholt geschlagen. Ballal erlitt dabei Verletzungen. Laut seiner Aussage sei er auch von einem der Soldaten körperlich angegriffen worden. Anschließend wurde er, obwohl verletzt, gefesselt und gemeinsam mit zwei weiteren Dorfbewohnern in ein israelisches Militärfahrzeug verfrachtet.
Die Nacht verbrachte er in einem Polizeiposten in der nahegelegenen Siedlung Kiryat Arba. Erst am folgenden Morgen wurde er freigelassen. Für Ballal steht fest: Der Angriff war keine zufällige Reaktion, sondern eine gezielte Maßnahme gegen ihn persönlich – motiviert durch den internationalen Erfolg seines Films. Er will gehört haben, wie einer der Soldaten im Verlauf der Festnahme das Wort „Oscar“ aussprach.
Ein Film, der unbequem ist
No Other Land beleuchtet die Lebensrealitäten palästinensischer Familien in Masafer Yatta, einem Gebiet in der südlichen Westbank, das seit Jahren Gegenstand von Räumungen, Siedlungserweiterungen und militärischer Kontrolle ist. Der Film, von einem palästinensisch-israelischen Team produziert, zeichnet in intimen Bildern den Verlust von Land und Heimat nach – eine Geschichte, die im Ausland Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält, aber in Israel vielfach auf Ablehnung stößt.
Dass ein solcher Film in der aktuellen politischen Konstellation als Provokation wahrgenommen wird, überrascht nicht. Die israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu hat in den letzten Monaten ihren Kurs gegenüber den Palästinensern verschärft – mit weitreichenden Razzien, einer Intensivierung des Siedlungsausbaus und einem verstärkten Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen.
Rechtfertigungen und Zweifel
Die israelische Armee wies die Anschuldigungen gegen ihre Soldaten zurück. Man habe die Festnahme im Rahmen von Ermittlungen zu mutmaßlichen Steinwürfen und Bedrohungen regionaler Einrichtungen durchgeführt. Die betroffenen Personen seien medizinisch versorgt worden, bevor sie über Nacht in einem befestigten Zentrum festgehalten und am nächsten Morgen verhört worden seien.
Ballal widerspricht dieser Darstellung. Für ihn ist klar, dass seine Festnahme kein Zufall war, sondern im Zusammenhang mit seiner medialen Sichtbarkeit steht. Der Angriff habe ihm vor Augen geführt, wie real die Bedrohung für Kulturschaffende sei, die sich öffentlich gegen die Besatzung äußern.
Künstler unter Druck
Der Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf die prekäre Lage palästinensischer Intellektueller, Journalisten und Künstler. Wer mit internationalen Plattformen arbeitet, wird von israelischer Seite zunehmend als politischer Akteur betrachtet. In jüngster Vergangenheit wurden mehrere palästinensische Aktivisten an der Ausreise gehindert, NGOs verboten oder ihre Finanzierung durch administrative Mittel blockiert.
Gleichzeitig erlebt die palästinensische Kunstszene im Ausland einen Aufschwung. Filme, Ausstellungen und Publikationen finden weltweit Resonanz – was wiederum den Druck auf Kulturschaffende in den besetzten Gebieten erhöht. Die Diskrepanz zwischen Anerkennung im Ausland und Repression vor Ort ist ein zentrales Spannungsfeld palästinensischen Kulturschaffens.
Was bleibt von der Gewalt
Die Umstände der Festnahme und des mutmaßlichen Übergriffs werfen Fragen auf, die weit über den Einzelfall hinausgehen. Es geht um den Schutz von Kunstfreiheit, um die Sicherheit von Aktivisten in einem zunehmend militarisierten Raum – und nicht zuletzt um die politische Botschaft, die von einem solchen Vorgang ausgeht. Wenn ein international ausgezeichneter Dokumentarfilm mit Repression beantwortet wird, dann offenbart sich darin eine tiefere Krise: die Unfähigkeit, Kritik als Teil einer demokratischen Auseinandersetzung zu akzeptieren.
Hamdan Ballal ist mittlerweile wieder frei. Doch der Übergriff auf ihn wird Nachwirkungen haben – für ihn persönlich, aber auch für den Diskurs über Meinungsfreiheit, politische Gewalt und die Rolle von Kultur im Konflikt zwischen Israel und Palästina.
Autor: MAB
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!