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In der amerikanischen Politik ist es Tradition, dass ehemalige Präsidenten Zurückhaltung üben, wenn es um öffentliche Kritik an ihren Nachfolgern geht. Der Kodex der Zurückhaltung soll den demokratischen Übergang stärken und Stabilität signalisieren. Doch diese Konvention scheint in der Frühphase der zweiten Amtszeit Donald Trumps ausgehöhlt worden zu sein – von drei Männern, die einst selbst das höchste Amt der Vereinigten Staaten innehatten: Barack Obama, Joe Biden und Bill Clinton. In nur zwei Wochen traten sie unabhängig voneinander öffentlich auf, um ungewöhnlich deutlich vor dem Kurs des amtierenden Präsidenten zu warnen.

Eine kollektive Warnung

Die Reden der drei demokratischen Ex-Präsidenten fanden an unterschiedlichen Orten statt – ein College in New York, eine Konferenz für Behindertenrechte in Chicago, eine Gedenkveranstaltung in Oklahoma City – und unterschieden sich in Tonfall und Inhalt. Doch in der Summe bildeten sie ein geschlossenes Signal: Die politischen und institutionellen Grundlagen der Vereinigten Staaten stünden unter Druck, und die Entwicklungen der letzten Monate ließen kaum Raum für Zurückhaltung.

Barack Obama sprach am 3. April an der Hamilton University und warnte eindringlich vor einem Präsidenten, der demokratische Institutionen gezielt schwäche. „Es liegt an uns allen, das zu reparieren“, sagte er. „Niemand wird kommen, um uns zu retten. Die wichtigste Funktion in dieser Demokratie ist nicht die des Präsidenten – sondern die des Bürgers.“

Joe Biden, bei seiner ersten öffentlichen Rede seit dem Ausscheiden aus dem Amt, kritisierte in Chicago insbesondere die Sozialpolitik Trumps und dessen Umgang mit der Sozialversicherung: „Was die Schwächsten unserer Gesellschaft am wenigsten brauchen, ist eine Regierung, die sich in Grausamkeit übt“, so Biden. Es sei erschütternd, wie viel „Zerstörung in weniger als 100 Tagen“ angerichtet worden sei.

Bill Clinton wiederum nutzte die Gedenkfeier zum 30. Jahrestag des Bombenanschlags von Oklahoma City, um Parallelen zwischen dem damaligen Zusammenhalt und der heutigen Spaltung zu ziehen. „Wenn wir unsere Energie nur noch darauf verwenden, andere zu dominieren und unsere Ressentiments zu pflegen, dann gefährden wir den 250-jährigen Weg zu einer vollkommeneren Union“, warnte er.

Eine ungewöhnliche Allianz

Dass sich drei ehemalige Präsidenten innerhalb so kurzer Zeit gegen ihren Nachfolger positionieren, ist beispiellos. Zwar kam es in der Vergangenheit immer wieder zu indirekter Kritik – etwa durch Jimmy Carter an Ronald Reagan oder durch George W. Bushs stillschweigende Distanz zu Trump – doch das koordinierte Auftreten mehrerer Vorgänger ist eine neue Dimension.

Timothy Naftali, Historiker an der Columbia University, sprach in einem Interview von einem „Alarmruf eines inoffiziellen Ältestenrates“. Ehemalige Präsidenten seien besonders legitimiert, vor Gefahren für die Demokratie zu warnen. Dass sie sich bereits vor Ablauf der traditionellen 100-Tage-Schonfrist öffentlich äußerten, sei Ausdruck außergewöhnlicher Besorgnis.

Persönliche Geschichte, politische Konfrontation

Die Beziehung zwischen Trump und seinen drei Vorgängern ist nicht nur politisch aufgeladen, sondern auch durch persönliche Angriffe und Demütigungen geprägt. Trump hatte Obama jahrelang mit der sogenannten „Birther“-Verschwörung verunglimpft, Biden während des Wahlkampfs 2020 als „Sleepy Joe“ verspottet und Clintons Ehefrau Hillary mit dem Ruf „Lock her up“ zur Hauptzielscheibe seiner Kampagnen gemacht.

Auch nach seinem Wahlsieg 2024 ließ Trump keine Gelegenheit aus, um seine Rivalen öffentlich zu diskreditieren. Er beendete den Secret-Service-Schutz für die Kinder Bidens und nannte die Familie des Präsidenten „eine Bedrohung für die nationale Sicherheit“. Die demokratischen Ex-Präsidenten wiederum sehen in Trumps Politik einen offenen Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und demokratische Normen. Biden hatte bereits 2022 in einem bemerkenswert scharfen Ton erklärt, Trump und seine Anhänger seien „eine Bedrohung für unsere Demokratie“ und „Anhänger des Semi-Faschismus“.

Die Erosion präsidentieller Solidarität

Historisch gesehen war die Beziehung zwischen ehemaligen Präsidenten oft von gegenseitigem Respekt geprägt. Gerald Ford und Jimmy Carter, einst erbitterte Gegner, verband eine tiefe Freundschaft. George W. Bush lobte Bill Clinton bei der Enthüllung seines Porträts 2004 als „Mann mit Energie und Wärme“. Solche Töne fehlen in der aktuellen Konstellation gänzlich.

Seit der zweiten Amtsübernahme Trumps Anfang des Jahres hat sich das politische Klima der USA weiter polarisiert. Seine Rückkehr ins Weiße Haus erfolgte trotz juristischer Auseinandersetzungen und anhaltender Kontroversen um die Wahl 2020. Der frühere Präsident hatte nie wirklich akzeptiert, verloren zu haben, und nutzt seine zweite Amtszeit, um die Bundesbürokratie umzubauen, politische Gegner juristisch zu verfolgen und Medien anzugreifen. Die Institutionen wirken zunehmend überfordert.

Demokratische Werte unter Druck

Was Obama, Biden und Clinton gemeinsam eint, ist die Sorge um das demokratische Fundament der Vereinigten Staaten. Ihre Kritik ist weniger parteipolitisch als institutionell motiviert. Sie sehen das Amt des Präsidenten nicht nur als politische Machtposition, sondern als moralisches und symbolisches Zentrum der Republik. Wenn Trump demokratische Prinzipien zur Disposition stelle, müsse dieser Konsens offen verteidigt werden – auch von jenen, die einst selbst an seiner Stelle standen.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Reaktionen vieler ehemaliger Beamter, Diplomaten und Militärs wider, die sich seit Trumps Rückkehr zunehmend öffentlich äußern. In einer Zeit, in der die Gewaltenteilung durch Exekutivverordnungen und Loyalitätsforderungen ausgehöhlt wird, scheint die politische Elite des Landes ausnahmsweise zu einem klaren Urteil zu kommen.

Ob dieser breite Aufschrei politisch Wirkung entfalten kann, bleibt abzuwarten. Doch er markiert einen Wendepunkt in der politischen Kultur der USA: Die Unsichtbarkeit des Altpräsidenten, einst Garant der Stabilität, weicht der Notwendigkeit zur Intervention. Wenn drei ehemalige Präsidenten fast gleichzeitig zu diesem Mittel greifen, ist das mehr als eine Meinungsäußerung – es ist ein institutioneller Notruf.

Von Andreas Brucker

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