Tag & Nacht




Die Aufarbeitung des Falles Jeffrey Epstein ist um ein weiteres Kapitel reicher. Am 8. September 2025 erreichte den US-Kongress eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten aus dem Nachlass des 2019 verstorbenen Sexualstraftäters. Darunter befindet sich auch das berüchtigte „Birthday Book“, ein von Ghislaine Maxwell im Jahr 2003 zusammengestelltes Album zu Epsteins 50. Geburtstag. Die Veröffentlichung dieser Materialien wirft nicht nur ein grelles Licht auf die Netzwerke des einst mächtigen Finanziers, sondern entfacht zugleich heftige politische Auseinandersetzungen in Washington.

Das „Birthday Book“ als symbolisches Dokument

Das 238 Seiten umfassende Geburtstagsalbum enthält Widmungen, Illustrationen und Fotografien aus Epsteins Umfeld. Besonders ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte eine Zeichnung einer nackten Frau, signiert mit „Donald“ und versehen mit der Botschaft: „Happy Birthday – and may every day be another wonderful secret.“ US-Medien ordnen die Zeichnung dem damaligen Immobilienunternehmer und heutigem US-Präsidenten Donald Trump zu. Dieser wies die Zuschreibung umgehend zurück, sprach von einer „Fälschung“ und leitete juristische Schritte gegen entsprechende Berichterstattung ein.

Ob das „Birthday Book“ in rechtlicher Hinsicht Beweiskraft besitzt, ist fraglich. Politisch ist seine Symbolik jedoch hoch: Es dient Kritikern als weiterer Baustein in der Debatte über die Verbindungen einflussreicher Persönlichkeiten zu Epstein – von Wirtschaftsführern über Wissenschaftler bis hin zu Politikern beider Parteien.

Polarisierung im Kongress

Das House Oversight Committee veröffentlichte das Album im Rahmen seiner Ermittlungen, was parteiübergreifende Spannungen nach sich zog. Demokratische Abgeordnete wie Robert Garcia fordern eine vollständige Offenlegung sämtlicher Dokumente, um die Netzwerke Epsteins umfassend zu durchleuchten.

Unter den Republikanern herrscht Uneinigkeit: Während einige eine Petition zur Freigabe aller Unterlagen unterstützen, warnt die Parteiführung vor voreiliger Transparenz. Speaker Mike Johnson betonte, dass der Schutz der Opfer an erster Stelle stehen müsse und eine politisch motivierte Veröffentlichung zu vermeiden sei. Damit deutet sich ein klassischer Zielkonflikt an: Aufklärung und Wahrheitsfindung auf der einen, politisches Kalkül und taktische Abwägungen auf der anderen Seite.

Opfer zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Besonders lautstark meldeten sich erneut die Opfer zu Wort und kritisieren, dass die bisherige Dokumentenfreigabe zu selektiv und damit unzureichend sei. Mehrere von ihnen kündigten an, selbst Listen mit Namen aus Epsteins Umfeld zu veröffentlichen, um den Druck auf Behörden und Politik zu erhöhen.

Diese Eigeninitiative zeigt nicht nur das tiefe Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, sondern auch den Willen der Opfer, die öffentliche Erinnerung aktiv mitzugestalten. Zugleich birgt sie das Risiko, dass unbestätigte Informationen in Umlauf geraten und damit neue Konflikte über Reputation und Schuld ausgelöst werden.

Politische Sprengkraft über den Fall hinaus

Die aktuelle Kontroverse ist nicht isoliert zu betrachten. Sie reiht sich ein in eine längere Debatte über Machtmissbrauch, Elitennetzwerke und mangelnde Transparenz staatlicher Ermittlungen. Historische Parallelen drängen sich auf: Schon die Untersuchung der Iran-Contra-Affäre in den 1980er-Jahren oder die Debatten um die Veröffentlichung der „Pentagon Papers“ Anfang der 1970er waren von ähnlichen Spannungsfeldern geprägt – zwischen öffentlichem Interesse, staatlichem Geheimhaltungsanspruch und parteipolitischen Interessenlagen.

Auch für den bevorstehenden Zwischenwahlkampf 2026 birgt das Thema erhebliche Brisanz. Trumps Name im „Birthday Book“ – ob authentisch oder nicht – verschärft die Angriffe seiner Gegner und verkompliziert seine Verteidigungsstrategie. Gleichzeitig fürchten Demokraten, dass die Veröffentlichung weiterer Dokumente auch prominente Vertreter ihrer Partei belasten könnte.

Zwischen Aufklärung und Instrumentalisierung

Die Übergabe der Epstein-Dokumente an den Kongress ist zweifellos ein Meilenstein im Bemühen, die Netzwerke des verurteilten Straftäters aufzudecken. Doch die Debatte zeigt bereits jetzt die Grenzen institutioneller Aufklärung: Politische Agenden drohen, die Interessen der Opfer zu überlagern, während das Bedürfnis nach Transparenz mit juristischen Bedenken kollidiert.

Ob es gelingt, aus den Unterlagen ein kohärentes Bild zu gewinnen, das sowohl den Opfern gerecht wird als auch das Vertrauen der Öffentlichkeit stärkt, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Der Fall Epstein wird die amerikanische Politik und Gesellschaft auch sechs Jahre nach seinem Tod nicht loslassen – zu vielschichtig sind die Verflechtungen, zu groß das Misstrauen gegenüber Machteliten und zu stark der Drang nach lückenloser Aufklärung.

Autor: Andreas M. Brucker

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