Die Uhr zeigte kurz nach 20 Uhr am 23. Juli 2025, als der Himmel über Bohain-en-Vermandois seine Schleusen öffnete – nicht zaghaft, nicht zögerlich, sondern mit voller Wucht. Innerhalb von nur 60 Minuten prasselten zwischen 70 und 80 Liter Regen / m2 auf die kleine nordfranzösische Gemeinde nieder – ein ganzer Monat Regen, komprimiert in eine Stunde.
Das Ergebnis: Straßen wurden zu Flüssen, Autos zu hilflosen Inseln aus Blech, Häuser zu Wasserfallen.
Ein Hochwasser wie aus dem Nichts
Wer an diesem Abend in Bohain-en-Vermandois unterwegs war, hatte keine Chance. Die Wassermassen stiegen mit erschreckender Geschwindigkeit. Innerhalb weniger Minuten erreichte das Wasser in einigen Straßenzügen einen Meter Höhe. Ein Tempo, das keine Zeit ließ für Vorkehrungen oder Flucht.
In Videos, die noch in derselben Nacht durchs Netz zirkulierten, sieht man Autos, deren Dächer gerade noch herausragen. Menschen stehen fassungslos vor ihren überfluteten Häusern, einige barfuß, andere mit Einkaufstüten in der Hand – gefangen in einem Albtraum, den so niemand niemand jemals erleben wollte.
Feuerwehr im Dauereinsatz
Die Reaktion kam schnell: 36 Feuerwehrleute und elf Fahrzeuge wurden mobilisiert, um den schlimmsten Schaden abzuwenden. Ein Mensch musste aus seinem Zuhause evakuiert werden, zehn weitere fanden für die Nacht Unterschlupf in einem örtlichen Gymnasium. Zwei Geschäfte meldeten erhebliche Schäden.
Und es bleibt das Gefühl, dass gegen diese Naturgewalt kein Einsatz groß genug sein kann. Was nützt ein Sandsack gegen ein Unwetter, das nicht mehr mit gewohnten Maßstäben messbar ist?
Frankreich unter Wasser – und unter Alarm
Bohain ist kein Einzelfall. Vierzehn Départements – darunter auch die Aisne – stehen derzeit unter „Vigilance orange“, einer Warnstufe für sehr starke Regenfälle und hohe Überschwemmungsgefahr. Météo-France, der französische Wetterdienst, erhält die Alarmstufe vorerst bis zum Freitag aufrecht. Zu unbeständig die Wetterlage, zu nass der Boden.
Ein einzelnes Tiefdruckgebiet hat gereicht, um die Region auf Trab zu halten. Doch dieses Tiefdruckgebiet war kein klassisches Tief. Es war ein sogenanntes stationäres Gewitter – ein Ungetüm, das sich keinen Zentimeter bewegte, sondern stundenlang an Ort und Stelle tobte.
Immer wieder fragen sich die Menschen: War das ein einmaliger Ausrutscher der Natur – oder ein neues Normal?
Die Meteorologen sind sich einig: Solche Extremereignisse nehmen zu. Und das nicht irgendwann, nicht irgendwo, sondern hier und jetzt – direkt vor unserer Haustür. Die Ursachen? Eine Mischung aus globaler Erwärmung, veränderten Windstrukturen und einem zunehmend überforderten Boden, der die Wassermassen nicht mehr aufnehmen kann.
Besonders betroffen sind kleinere Städte wie Bohain, deren Infrastruktur auf solch extreme Belastungen schlicht nicht ausgelegt ist.
Wenn die Straßen zur Falle werden
Viele französische Städte stammen noch aus Zeiten, in denen Starkregen ein seltenes Phänomen war. Entwässerungssysteme, die damals ausreichten, kapitulieren heute. Regenwasserkanäle laufen über, Gullys verschließen sich durch Schlick und Müll, Rückhaltebecken laufen über – wenn sie denn überhaupt eingerichtet wurden.
Die Folge: Jede Pfütze wird zum Risiko, jeder Bordstein zur Stolperfalle.
Solidarität als Rettungsanker
Inmitten der Verwüstung zeigt sich auch die andere Seite der Medaille: Menschen helfen einander, reichen sich Gummistiefel, Eimer, Taschenlampen. Der Bürgermeister spricht von einer „beeindruckenden Solidarität“, die trotz des Schocks sichtbar wurde.
Eine Bäckerei in der Rue Pasteur öffnete am nächsten Morgen früher – nicht um Croissants zu verkaufen, sondern um warmen Kaffee an Helfer zu verteilen.
Ein Aufruf zum Umdenken
Die Flut von Bohain-en-Vermandois ist mehr als ein Unwetter. Sie ist ein Warnsignal.
Kommunen müssen ihre Bebauungspläne überprüfen. Es braucht wasserdurchlässige Böden statt Asphalt. Und die Bevölkerung – so bitter das klingt – muss lernen, mit solchen Szenarien zu rechnen. Denn sie werden nicht seltener. Sie werden intensiver.
Der Morgen danach
Jetzt, am Tag danach, stehen überall Männer mit Schaufeln. Feuerwehrleute pumpen Keller leer, Anwohner tragen durchnässtes Mobiliar nach draußen. Die Sonne scheint wieder – als wäre nichts gewesen.
Aber die Stille ist trügerisch. Denn was bleibt, ist das Wissen: Das nächste Mal kann schneller kommen, als man denkt.
Und dann?
Autor: C.H.
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