Tag & Nacht




Als hätte der Unfall selbst nicht schon genug Dramatik geboten: Am Donnerstag, den 5. Juni 2025, kam es auf der Autobahn A7 bei La Roche-de-Glun (Drôme) zu einem Vorfall, der nicht nur wegen des umgekippten LKW für Aufsehen sorgte – sondern vor allem durch das Verhalten der Autofahrer. Ganze 109 Personen wurden an diesem Tag von der Gendarmerie „geblitzt“ – nicht wegen zu schnellen Fahrens, sondern weil sie beim Vorbeifahren ihr Handy zückten, um das Spektakel zu filmen oder zu fotografieren.

Ein Selfie mit dem Unglück? Leider keine Seltenheit mehr.


Gaffen mit dem Handy – ein wachsendes Problem

Der Unfall war schnell erklärt: Der Fahrer eines LKW war am Steuer eingeschlafen. In der Folge blockierte sein Fahrzeug komplett die Fahrbahn Richtung Marseille – zwischen Tain-l’Hermitage und Bourg-lès-Valence ging gar nichts mehr. Die Rettungskräfte arbeiteten unter Hochdruck, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Doch bei den Autofahrern: statt Rücksicht – Handys. Statt Respekt – Gier nach Bildern. Autofahrer zückten ihre Smartphones, während sie an der Unfallstelle vorbeifuhren. Sie hielten drauf, filmten das Chaos, zoomten auf das verunfallte Fahrzeug. Einige posteten wohl noch direkt aus dem Auto.

Die Reaktion der Gendarmerie? Schnell, gezielt, konsequent.


Verwarnung per Kennzeichen – eine neue Effizienz

An diesem Tag kam das Escadron Départemental de Sécurité Routière (EDSR) auf eine neue Idee: Die sogenannte „Verbalisation à la volée“. Ohne die Autos zu stoppen, notierten die Beamten die Kennzeichen jener, die am Steuer mit dem Handy in der Hand erwischt wurden. Das Ergebnis? 135 Euro Bußgeld – plus 3 Punkte auf dem Führerschein.

So einfach – so schmerzhaft.

Und ehrlich gesagt: So notwendig.


Gefahr auf vier Rädern

Was vielen offenbar nicht klar ist: Die Ablenkung durch das Smartphone ist am Steuer brandgefährlich. Studien der französischen Straßenverkehrssicherheit belegen, dass jeder zehnte Unfall direkt mit der Handynutzung am Steuer in Verbindung steht. In der Praxis bedeutet das: Eine Sekunde Blick aufs Display – und schon übersieht man das Auto vor sich, den Einsatzwagen oder den Stauanfang.

Die Szene auf der A7 zeigte genau das. Während Rettungskräfte Menschen helfen und Gefahrenstellen sichern, schieben sich Autofahrer neugierig in die erste Reihe für das perfekte Bild. Sie behindern Rettungswege, riskieren Folgeunfälle – und gefährden damit nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen.

Ist ein Social-Media-Video wirklich soviel wert?


Der Unterschied zwischen Fahrer und Beifahrer

Wer im Auto unterwegs ist, hat unterschiedliche Rechte und Pflichten – je nachdem, wo man sitzt. Beifahrer dürfen theoretisch filmen, so lange sie die Fahrer nicht ablenken oder Einsatzkräfte behindern. Aber selbst hier ist Vorsicht geboten. Sobald solche Aufnahmen online landen und Personen erkennbar sind, greifen die Datenschutzgesetze – und die können empfindliche Strafen nach sich ziehen.

Ein Mittelweg: Dashcams. Sie filmen automatisch das Verkehrsgeschehen – und liefern im Falle eines Unfalls wertvolles Beweismaterial. Ihre Nutzung ist in Frankreich erlaubt, solange sie nur zur Eigenverwendung genutzt und keine Gesichter oder Kennzeichen öffentlich gemacht werden.


Zwischen Verantwortung und Voyeurismus

Was bleibt nach diesem Vorfall auf der A7? Ein mulmiges Gefühl. Denn das Verhalten der 109 Autofahrer steht exemplarisch für eine Entwicklung, die immer mehr zur Normalität wird. Smartphone raus, Kamera an – egal wo, egal wann.

Doch was ist mit der Verantwortung? Was ist mit dem Anstand?

Die Straße ist kein Instagram-Feed, und Unfälle keine Unterhaltung. Wer Auto fährt, trägt Verantwortung – für sich selbst, für die Mitfahrer, für alle drumherum. Das scheint in Zeiten der digitalen Dauerpräsenz in Vergessenheit zu geraten.


Was Autofahrer jetzt wissen sollten

Die französische Gesetzeslage ist eindeutig: Wer sein Handy während der Fahrt benutzt – ob zum Telefonieren, Fotografieren oder Scrollen – handelt illegal. Und selbst im Stau oder an der roten Ampel gilt: Handy in der Hand ist verboten. Es drohen Bußgelder, Punkte, im Wiederholungsfall sogar Fahrverbot.

Wer trotzdem dokumentieren will, sollte auf legale Alternativen setzen: Dashcams mit automatischer Aufzeichnung. Wichtig: Sie müssen fest installiert sein und dürfen die Sicht nicht behindern. Die Videos dürfen nicht veröffentlicht werden, wenn sie personenbezogene Daten enthalten.


Ein Aufruf zur Vernunft

Der Vorfall auf der A7 ist mehr als nur eine Massenverwarnung. Er ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie Technik unsere Aufmerksamkeit frisst – selbst dann, wenn es auf jede Sekunde ankommt. Die Szene auf der Autobahn war kein Schnappschuss, sondern eine Lektion in Verantwortung.

Wollen wir wirklich, dass Menschen in Not zur Kulisse für Selfies und Storys verkommen?

Jeder von uns entscheidet, was er hinter dem Steuer tut. Die einen greifen zum Handy. Die anderen zum Lenkrad – mit beiden Händen.

Von Daniel Ivers

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