Frankreichs unabhängiger Klimarat schlägt Alarm: Die nationale Klimapolitik steuert auf eine Verfehlung ihrer Ziele zu. Der am 3. Juli 2025 veröffentlichte siebte Jahresbericht des Haut Conseil pour le climat (HCC) zeichnet ein ernüchterndes Bild und wirft die Frage auf, ob Frankreich seine Verpflichtungen gegenüber der EU und dem Pariser Abkommen noch einhalten kann.
Die Kritik ist deutlich: Politische Rückschritte, unzureichende strukturelle Maßnahmen und ein drastisch verlangsamter Rückgang der Emissionen gefährden die Zielvorgaben für 2030 und 2050. Die Analyse des HCC wirkt wie ein Weckruf – an eine Regierung, die sich zunehmend mit sozialen Protesten und haushaltspolitischen Zwängen konfrontiert sieht.
Ein spürbarer Einbruch beim Emissionsrückgang
Besonders alarmierend ist das Tempo der Dekarbonisierung. Während die Treibhausgasemissionen Frankreichs zwischen 2022 und 2023 noch um 6,7 % sanken, betrug die Reduktion 2024 lediglich 1,8 %. Diese Verlangsamung fällt in eine Zeit, in der eigentlich jährliche Emissionsminderungen von rund 5 % notwendig wären, um die nationalen Klimaziele zu erreichen.
Der Rückgang von 1,8 % ist zudem kaum politisch bedingt. Nach Analyse des HCC resultiert er vor allem aus günstigen Witterungsverhältnissen: einem milden Winter mit geringem Heizbedarf und einer regenreichen Saison, die die Stromproduktion aus Wasserkraft erhöhte. Politische Maßnahmen hingegen trugen nur marginal zur CO2-Reduzierung bei.
Rückschritte bei zentralen Gesetzesvorhaben
Der Klimarat kritisiert besonders zwei politische Entscheidungen der vergangenen Monate:
- Aufweichung des ZAN-Ziels (Zéro Artificialisation Nette): Das Prinzip, den Flächenverbrauch netto auf null zu bringen, wurde jüngst abgeschwächt. Damit wird ein Kernelement der Biodiversitäts- und Klimastrategie aufgeweicht.
- Infragestellung der ZFE-Zonen (Zones à Faibles Émissions): Diese Umweltzonen in Ballungsräumen sollten Emissionen durch Verkehrsbeschränkungen mindern. Politischer Widerstand führte jedoch zur Aufweichung ihrer Umsetzung.
Diese Entscheidungen, so das HCC, untergraben die Glaubwürdigkeit und Kohärenz der nationalen Klimapolitik.
Schlüsselbereiche mit strukturellem Reformbedarf
Verkehr: Stagnierende Emissionen trotz Elektrifizierung
Der Verkehrssektor bleibt der größte Problembereich. Trotz steigender Zulassungszahlen von Elektroautos stagnierten die Emissionen 2024. Der HCC empfiehlt eine konsequentere CO₂-Bepreisung bei Diesel und Benzin, eine stärkere Besteuerung von Schwerlasttransporten sowie Investitionen in den Schienengüterverkehr. Zudem müsse das Ziel, ab 2035 nur noch emissionsfreie Neufahrzeuge zuzulassen, strikt verfolgt werden.
Landwirtschaft: Klimaschutz kollidiert mit Krisenpolitik
Die Agrarpolitik wurde 2024 stark von den Bauernprotesten geprägt. Um die Krise zu entschärfen, lockerte die Regierung Umweltauflagen und verschob Transformationsziele. Der HCC warnt, dass diese Politik den notwendigen Umbau hin zu einer klimafreundlicheren, regenerativen Landwirtschaft blockiert.
Gebäude: Teilsanierungen reichen nicht aus
Im Gebäudesektor setzt Frankreich weiterhin auf partielle Sanierungen statt umfassender energetischer Renovationen. Der HCC kritisiert diese Strategie als ineffizient, da sie langfristig weder Energiekosten senkt noch die Dekarbonisierungsziele im Bauwesen sicherstellt.
Fehlende strategische Orientierung
Neben sektoralen Defiziten sieht der Klimarat ein strukturelles Problem: Die überfällige Veröffentlichung der neuen Programmation Pluriannuelle de l’Énergie (PPE) und der Stratégie Nationale Bas Carbone (SNBC) verschärft die Unsicherheit. Ohne diese strategischen Rahmenwerke fehlt es Unternehmen, Kommunen und Investoren an Orientierung.
„Sursaut collectif“ – ein kollektives Aufwachen gefordert
Jean-François Soussana, Präsident des HCC, rief angesichts dieser Bilanz zu einem „sursaut collectif“ auf – einem kollektiven Aufwachen. Er fordert:
- Strukturreformen statt Einzelmaßnahmen
- Stabile Governance-Strukturen, um Klimapolitik auch bei wechselnden politischen Mehrheiten umzusetzen
- Klare, belastbare Ziele, die sich nicht nach kurzfristigen Krisenstimmungen richten
Frankreichs Klimapolitik auf der Kippe
Frankreichs Klimabilanz ist ein Menetekel. Die strukturellen Versäumnisse und politischen Rückschritte drohen die mühsam erarbeiteten Fortschritte der vergangenen Jahre zu entwerten. Bereits 2023 hatte der Conseil d’État, Frankreichs höchstes Verwaltungsgericht, die Regierung gemahnt, ihre Klimapolitik „ohne weitere Verzögerung“ an die selbst gesetzten Ziele anzupassen. Der aktuelle Bericht des HCC unterstreicht, dass diese Mahnung ungehört verhallte.
Sollte Frankreich seine Klimaziele verfehlen, wäre dies nicht nur ein innenpolitisches Scheitern. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU und diplomatischer Motor der Klimapolitik droht Paris an Glaubwürdigkeit zu verlieren – insbesondere im Hinblick auf die Verhandlungen zur globalen CO₂-Bepreisung und die EU-interne Lastenteilung. Ein nachhaltiger Kurswechsel wird umso dringlicher.
Andreas M. Brucker
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