Frankreichs Justizminister Gérald Darmanin hat am 22. März 2025 eine neue Weisung an die Staatsanwaltschaften des Landes erlassen: Ausländische Häftlinge sollen systematisch identifiziert werden, um nach Möglichkeit abgeschoben zu werden. Ziel ist es, der chronischen Überbelegung der französischen Gefängnisse entgegenzuwirken und die nationale Sicherheit zu stärken. Die Maßnahme ist Teil einer zunehmend restriktiven Einwanderungspolitik, die bereits in den letzten Jahren an Schärfe gewonnen hat.
Mit dieser Anweisung will die Regierung nicht nur auf strukturelle Probleme im Strafvollzug reagieren, sondern auch ein politisches Signal senden: Straftäter ohne französische Staatsbürgerschaft sollen das Land nach Verbüßung ihrer Strafe möglichst verlassen. Doch während die Regierung Effizienz und Sicherheit betont, sehen Kritiker die Grundrechte der Betroffenen in Gefahr.
Eine überlastete Justiz im Reformmodus
Frankreichs Gefängnissystem ist seit Jahren überlastet. Laut offiziellen Angaben sind derzeit über 19.000 ausländische Staatsangehörige in französischen Justizvollzugsanstalten inhaftiert – das entspricht etwa einem Viertel der gesamten Gefängnispopulation. Diese Zahlen unterstreichen nicht nur das Ausmaß der Problematik, sondern liefern aus Sicht der Regierung auch eine Begründung für eine gezielte Politik der Rückführung.
Justizminister Darmanin fordert nun eine enge Kooperation zwischen Justizbehörden und Haftanstalten. Die Anweisung sieht vor, dass Staatsanwälte systematisch prüfen, ob bei ausländischen Häftlingen eine Ausweisung rechtlich möglich und administrativ durchführbar ist. Besonders im Fokus stehen dabei Personen, die bereits mit einem Einreiseverbot belegt sind oder eine sogenannte „obligation de quitter le territoire français“ – eine behördliche Ausreiseverpflichtung – erhalten haben.
Gesetzlicher Rahmen seit 2024 verschärft
Die aktuelle Initiative steht im Zusammenhang mit dem im Januar 2024 verabschiedeten Gesetz zur Kontrolle der Immigration und Verbesserung der Integration. Dieses Gesetz verleiht den Behörden erweiterten Handlungsspielraum, insbesondere im Umgang mit ausländischen Straftätern. So können nun auch Personen ausgewiesen werden, die sich zuvor auf Schutzklauseln berufen konnten, etwa bei familiären Bindungen in Frankreich oder langjährigem Aufenthalt.
Darmanin betonte in einem Interview, dass Straftäter nach Verbüßung ihrer Haftstrafe keinen weiteren Aufenthaltstitel erhalten sollen, sofern ihre Rückführung rechtlich möglich sei. Damit verschärft Frankreich nicht nur seine Einwanderungspolitik, sondern auch die rechtlichen Grundlagen für den Vollzug von Abschiebungen.
Rückführung als sicherheitspolitisches Instrument
Für die französische Regierung steht hinter der Maßnahme nicht nur der Wunsch nach Entlastung des Strafvollzugs, sondern auch eine sicherheitspolitische Überlegung. In einem sicherheitspolitischen Kontext, der geprägt ist von wiederholten Debatten über islamistische Radikalisierung in Gefängnissen und Rückführung krimineller Ausländer, werden Abschiebungen zunehmend als präventives Instrument betrachtet.
Zudem verweist das Justizministerium auf kostenseitige Erwägungen. Die Inhaftierung eines Häftlings kostet den französischen Staat im Durchschnitt rund 120 Euro pro Tag. Rückführungen erscheinen aus staatlicher Sicht daher auch als ökonomisch motivierter Schritt, insbesondere bei Personen ohne Aussicht auf langfristige Integration.
Wiederkehrende Maßnahmen mit symbolischem Charakter
Die nun ergriffene Maßnahme ist kein Novum in der französischen Innenpolitik. Bereits in der Vergangenheit hatte die Regierung vergleichbare Initiativen gestartet – etwa die sogenannte „Opération Wuambushu“ auf der Insel Mayotte. Dort wurden im Jahr 2023 groß angelegte Räumungs- und Rückführungsaktionen gegen irreguläre Migranten durchgeführt. Auch hier betonte die Regierung den sicherheits- und ordnungspolitischen Charakter der Maßnahme, während Menschenrechtsorganisationen vor Stigmatisierung und struktureller Diskriminierung warnten.
Diese duale Wahrnehmung durchzieht auch die aktuelle Debatte: Während Regierungsvertreter die Ausweisung krimineller Ausländer als notwendig und legitim darstellen, mahnen NGOs und linksliberale Parteien zu mehr Differenzierung. Sie kritisieren, dass die Maßnahme nicht ausreichend zwischen schweren und geringfügigen Delikten unterscheide und individuelle Schutzgründe der Betroffenen zu wenig Beachtung fänden.
Die Frage der Umsetzbarkeit
Die praktische Umsetzung der neuen Anweisung bleibt indes mit Unsicherheiten behaftet. Ein erheblicher Teil der betroffenen Personen stammt aus Staaten, mit denen Frankreich keine Rückführungsabkommen unterhält oder deren Heimatbehörden sich weigern, die betreffenden Personen zurückzunehmen. Auch dokumentenlose Häftlinge stellen die Behörden vor rechtliche und logistische Herausforderungen.
Zudem ist fraglich, ob die französischen Verwaltungsgerichte den Ausweisungsentscheidungen in jedem Fall folgen werden. In der Vergangenheit haben Gerichte regelmäßig Entscheidungen aufgehoben, wenn humanitäre oder familiäre Gründe gegen eine Rückführung sprachen.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die französischen Haftanstalten über die administrativen Kapazitäten verfügen, um im geforderten Umfang und Tempo Abschiebungsmaßnahmen vorzubereiten.
Die Maßnahme steht somit exemplarisch für das Spannungsfeld, in dem sich viele europäische Staaten derzeit bewegen: dem Bemühen um Kontrolle und Ordnung in der Migrationspolitik auf der einen Seite – und den rechtsstaatlichen und humanitären Prinzipien auf der anderen. Ob die französische Regierung mit dieser neuen Linie tatsächlich einen nachhaltigen Effekt erzielt oder lediglich symbolische Politik betreibt, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen.
Autor: MAB
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