Tag & Nacht




Frankreich steht 2025 vor einer heiklen fiskalischen Wegscheide. Mit einem Haushaltsdefizit von über 6 Prozent des BIP und einer Staatsverschuldung, die 110 Prozent übersteigen wird, ist die Frage nach der gerechten Verteilung von Lasten unausweichlich geworden. Die Regierung sieht sich gezwungen, die wohlhabendsten Teile der Gesellschaft stärker in die Pflicht zu nehmen – nicht nur aus fiskalischer Notwendigkeit, sondern auch aus politischer und sozialer Vernunft.

Das Prinzip der Mindestbesteuerung

Ein Kerninstrument der Reform ist die Contribution différentielle sur les hauts revenus (CDHR), die für Spitzenverdiener eine Mindestbesteuerung von 20 Prozent vorsieht. Jenseits von 250.000 Euro Jahreseinkommen für Einzelpersonen – oder 500.000 Euro für Ehepaare – soll so gewährleistet werden, dass auch die oberen Einkommen trotz aller Steuerschlupflöcher nicht unter die effektiven Steuersätze der Mittelschicht fallen. Diese Maßnahme trägt weniger durch ihre fiskalische Schlagkraft, als vielmehr durch ihre symbolische Wirkung: Sie signalisiert der Bevölkerung, dass Steuerprivilegien an der Spitze der Einkommensskala korrigiert werden.

Die Zucman-Initiative: Ein Tabubruch?

Noch größere Sprengkraft birgt die von dem Ökonomen Gabriel Zucman entwickelte Vermögenssteuer auf die Ultrareichen. Ein Satz von 2 Prozent auf Vermögen über 100 Millionen Euro könnte jährlich bis zu 20 Milliarden Euro generieren und würde lediglich 4.000 Haushalte betreffen. Gegner warnen vor Kapitalflucht, doch empirische Studien legen nahe, dass die Furcht vor einem massenhaften Exodus wohlhabender Familien übertrieben ist. Vielmehr steht hier die Frage nach der Legitimität des Staates im Zentrum: Kann ein Gemeinwesen dauerhaft bestehen, wenn die obersten 0,01 Prozent weitgehend vom Finanzamt unbehelligt bleiben, während breite Teile der Gesellschaft von Sparprogrammen betroffen sind?

Zusatzerlöse aus der Unternehmensbesteuerung

Parallel werden auch die Unternehmen ins Visier genommen. Eine Sondersteuer auf Aktienrückkäufe soll in zwei Jahren 12 Milliarden Euro einbringen. Hinzu kommen eine Anhebung der Finanztransaktionssteuer auf 0,4 Prozent und die Diskussion um eine Abgabe auf sogenannte Superdividenden. Diese Schritte sind ein Versuch, die Unternehmen, die von den niedrigen Zinsen und massiven staatlichen Stützungen der letzten Dekade profitiert haben, angemessen an den Kosten der Konsolidierung zu beteiligen.

Historische Kontinuitäten und Brüche

Die Debatte über die Besteuerung der Reichsten ist in Frankreich keineswegs neu. Bereits François Mitterrand führte Anfang der 1980er Jahre Vermögensabgaben ein, die jedoch bald als wachstumshemmend kritisiert wurden. Unter Präsident François Hollande wurde 2012 eine sogenannte „Reichensteuer“ von 75 Prozent auf Einkommen über eine Million Euro beschlossen – ein spektakulärer Schritt, der allerdings nur zwei Jahre Bestand hatte und schließlich gerichtlich gekippt wurde. Emmanuel Macron ging in die entgegengesetzte Richtung: 2018 schaffte er die traditionelle Vermögenssteuer (ISF) ab und ersetzte sie durch eine Immobiliensteuer. Diese Reform sollte Frankreich für Investoren attraktiver machen, vertiefte aber zugleich den Eindruck sozialer Ungerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund erscheinen die aktuellen Vorschläge weniger als radikale Neuerung, sondern als Rückkehr zu einer fiskalischen Tradition, die in Zeiten der Krise immer wieder auflebt.

Internationale Vergleiche

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass Frankreich mit seiner Debatte keineswegs isoliert dasteht. In Deutschland wird seit Jahren über die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer diskutiert, bislang jedoch ohne politische Mehrheit. Stattdessen setzt Berlin stärker auf die Progression der Einkommensteuer und auf Unternehmensabgaben. In den skandinavischen Ländern wiederum gehört eine angemessene Besteuerung der Wohlhabenden zum festen Bestandteil des Gesellschaftsvertrags. Dort wird sie weitgehend akzeptiert, weil sie mit einem umfassenden Wohlfahrtsstaat einhergeht, der für breite gesellschaftliche Stabilität sorgt. Frankreich bewegt sich zwischen diesen Modellen – es versucht, fiskalische Gerechtigkeit zu schaffen, ohne Investoren gänzlich abzuschrecken. Ob dieser Balanceakt gelingt, bleibt offen.

Ein gespaltenes Land

Die Debatte über die Besteuerung der Reichsten spiegelt die Bruchlinien der französischen Gesellschaft wider. Auf der einen Seite steht das Argument der fiskalischen Gerechtigkeit: Nur wenn auch die Spitzenvermögen angemessen beitragen, lässt sich Akzeptanz für Sparmaßnahmen in der Breite gewinnen. Auf der anderen Seite verweisen Kritiker auf den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und warnen vor einem Klima, das Investitionen und Innovationen hemmt. Frankreich bewegt sich damit auf einem schmalen Grat zwischen sozialem Ausgleich und wirtschaftlicher Attraktivität.

Politische Realitäten

Premierminister François Bayrou spricht von der Notwendigkeit „starker Entscheidungen“. Doch ohne die notwendige Mehrheit im Parlament sind diese schwer durchzusetzen. Der Rekurs auf Artikel 49.3 der Verfassung – der es der Regierung erlaubt, ein Gesetz ohne Abstimmung zu verabschieden – bleibt ein mögliches, aber politisch riskantes Instrument. Stattdessen plant Bayrou, dass die Steuerfrage im Zusammenhang mit einem Vertrauensvotum am 8. September zum Lackmustest für die Stabilität der Regierung werden soll.

Die Diskussion über die Besteuerung der Superreichen ist damit weit mehr als eine fiskalische Debatte. Sie berührt das Selbstverständnis der Republik: die Balance zwischen ökonomischer Dynamik und sozialer Kohäsion. Nur wenn es gelingt, die wohlhabendsten Teile der Gesellschaft spürbar mehr einzubinden, lässt sich der soziale Frieden in Frankreich dauerhaft sichern.

Von Andreas Brucker

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