Während sich die Welt im Rahmen der COP29 in Aserbaidschan trifft, um über den globalen Klimaschutz zu beraten, zeigen sich in Frankreich besorgniserregende Entwicklungen: Die Wälder, einst eine bedeutende Kohlenstoffsenke, haben ihre Kapazität, CO₂ aus der Atmosphäre zu binden, um die Hälfte eingebüßt. Was steckt dahinter – und was bedeutet das für die Zukunft?
Wald im Wandel: Ein trauriges Bild aus den Vogesen
In den Vogesen, genauer gesagt rund um Bitche in Lothringen, sieht man es deutlich: Die Bäume sterben. Wo man früher lebendiges Grün fand, herrscht heute ein bedrückendes Bild von roten Markierungen auf kränkelnden Baumstämmen, vertrockneten Ästen und abblätternder Rinde. Hubert Schmuck vom französischen Forstamt ONF zeigt auf diese Baumruinen und beschreibt, wie die hohe Sterberate die CO₂-Bindung beeinträchtigt: Ohne gesunde Bäume, die CO₂ durch Photosynthese aufnehmen, kann die Waldfläche ihrem natürlichen Auftrag kaum noch gerecht werden.
Die Schuldigen? Extremwetter. Die letzten Sommer brachten in einigen Regionen Temperaturen von über 39 Grad, und das immer wieder. Das führt dazu, dass Bäume „verbrennen“, wie Schmuck erklärt: „Einige Bäume hatten innerhalb weniger Tage braune Blätter.“ Einem alten Eichenbaum hat das den Tod gebracht – ein Verlust für die Natur und auch für die Forstwirtschaft, die diesen Eichenstamm als wertvolles Holz für die Weinherstellung gesehen hätte.
Scolytiden: Kleine Käfer, große Schäden
Doch Hitze und Dürre sind nicht die einzigen Übeltäter. Eine regelrechte Invasion von Borkenkäfern, insbesondere Scolytiden, hat die geschwächten Fichten im Nordosten Frankreichs zusätzlich im Visier. Die Käfer bohren sich tief ins Holz und legen dort Eier, die Larven schädigen die Bäume zusätzlich. Die einzige Möglichkeit, diese Schädlinge zu bekämpfen? Die Bäume zu fällen, bevor die Insekten sich weiter ausbreiten können.
Das Problem ist so schwerwiegend, dass in manchen Waldgebieten die Lücken zwischen den Bäumen größer und größer werden – wie eine unübersehbare Warnung. Einst waren die Fichten dichte, kohlenstoffreiche Speicher, doch nun wirken die gerodeten Flächen wie klaffende Wunden im Ökosystem. Ein alarmierendes Bild, das zeigt: Hier kämpft die Natur einen schweren Kampf.
Der CO₂-Speicher schrumpft – was bedeutet das?
Um zu verstehen, warum das so dramatisch ist, ein kurzer Blick auf den Prozess der CO₂-Bindung. Bäume nehmen während der Photosynthese CO₂ aus der Luft auf und speichern den Kohlenstoff in ihrem Holz und den Blättern. Sobald Blätter fallen oder ein Baum stirbt und langsam zersetzt wird, gelangt ein Teil dieses Kohlenstoffs wieder in den Boden und bleibt dort gebunden. Ohne diese Prozesse bleibt CO₂ in der Atmosphäre – mit dem bekannten Effekt: Erderwärmung.
Philippe Ciais, Wissenschaftler am Klimaforschungsinstitut LSCE, beschreibt das Problem im europäischen Kontext. Die Fähigkeit europäischer Wälder, CO₂ zu absorbieren, hat um etwa 30 Prozent abgenommen, in Frankreich sogar um 50 Prozent. Früher konnten die Wälder dort rund 15 Prozent der landesweiten Emissionen kompensieren. Heute sind es nur noch etwa 7 Prozent.
Ursachen: Klimawandel und Überlastung der Wälder
Warum nimmt die Kohlenstoffbindungskapazität der Wälder so dramatisch ab? Zum einen spielt die Zunahme von extremen Wetterereignissen eine Rolle: Mehr Hitzewellen, längere Dürreperioden – diese Bedingungen führen dazu, dass sich die Bäume nicht mehr ausreichend erholen können und geschwächt sind. Doch auch die menschliche Nutzung trägt ihren Teil bei: Holz als Baustoff, Energiequelle und Konsumgut ist weltweit gefragt. Aber – und das wird oft unterschätzt – Wälder brauchen Zeit, um nachzuwachsen und sich zu regenerieren. Werden sie überbeansprucht, bleibt keine Zeit für die natürliche Erholung.
Europäische Klimaziele und Aufforstungsprojekte
Wie will man diesen Trend aufhalten? Die EU plant, bis 2030 etwa drei Milliarden neue Bäume zu pflanzen. Eine große Zahl, die Hoffnung macht – oder? Zwar können neue Pflanzungen auf lange Sicht die Kohlenstoffbindungskapazität etwas erhöhen, doch das Wachstum dauert Jahre, sogar Jahrzehnte. Die Neuanpflanzungen können das sterbende Holz von Jahrhunderte alten Bäumen, die ihren Kohlenstoffspeicher in Jahrzehnten aufgebaut haben, kaum ausgleichen. Ein Baum braucht eine gewisse Zeit, um aus einem jungen Sämling zu einem massiven Kohlenstoffspeicher zu werden. Kurz gesagt: Der Klimawandel läuft den Aufforstungsprojekten buchstäblich davon.
Ein paar Gedanken: Können wir den Wäldern helfen?
Ist das eine unüberwindbare Katastrophe? Nicht unbedingt. Einige Experten sehen Potenzial, den Wäldern durch gezieltes Wassermanagement, besser abgestimmte Artenwahl und Schutzmaßnahmen unter die Arme zu greifen. In Frankreich denkt man etwa an die Einführung robusterer Baumarten, die Trockenheit besser verkraften. Doch auch das braucht Zeit und den Willen, großflächig zu investieren.
Hinzu kommt: Die Waldflächen brauchen Ruhe, um sich erholen zu können. Weniger intensive Nutzung könnte den Wäldern ermöglichen, sich zu regenerieren und ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Vielleicht könnten Schutzgebiete eine Lösung sein, in denen menschliche Eingriffe begrenzt werden und sich die Natur frei entfalten kann. Aber wie realistisch ist das angesichts steigender Nachfrage nach Holz?
Fazit: Wälder im Überlebenskampf
Frankreichs Wälder stehen an einem Wendepunkt – und mit ihnen viele europäische Wälder. Die Herausforderung besteht darin, diesen Kohlenstoffspeicher, der so lange selbstverständlich war, zu schützen und zu stärken, bevor er endgültig verloren geht. Maßnahmen wie Aufforstung, nachhaltige Bewirtschaftung und Forschung zur Anpassung an klimatische Veränderungen können helfen, aber sie müssen rasch umgesetzt werden.
Es bleibt die Hoffnung, dass das Bewusstsein für den Wert der Wälder – als Lebensraum, Klimaregulator und Kohlenstoffspeicher – endlich Handeln auslöst. Die COP29 in Aserbaidschan könnte ein Anstoß sein, den internationalen Schutz der Wälder zu verbessern und deren zentrale Rolle im Klimaschutz zu betonen.
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