Tag & Nacht




Die Schlagzeile klingt wie aus einem düsteren Roman, doch sie ist bittere Realität:

Zwei Soldaten mit französisch-israelischer Staatsbürgerschaft, Sasha A. und Gabriel B., werden von mehreren internationalen Menschenrechtsorganisationen verklagt – wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sogar Völkermord.

Tatort: Gaza.

Tatzeit: zwischen November 2023 und März 2024.

Am 1. Juli 2025 reichten unter anderem die Fédération internationale pour les droits humains (FIDH), die Ligue des droits de l’homme (LDH) sowie drei palästinensische Organisationen – Al-Haq, Al-Mezan Center for Human Rights und das Palestinian Centre for Human Rights – eine Klage beim Pariser Pôle Crimes contre l’Humanité ein. Sie treten dabei als Zivilklägerinnen auf, was in Frankreich eine automatische Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens ermöglicht.

Was wirft man Sasha A. und Gabriel B. konkret vor?

Exekutionen, gefilmt und dokumentiert

Die beiden sollen Mitglieder einer Eliteeinheit des israelischen Militärs gewesen sein, der sogenannten „Ghost Unit“. Ihr Spezialgebiet: Präzisionsschüsse.

Doch laut Anklage ging es nicht nur um gezielte militärische Angriffe, sondern um Exekutionen unbewaffneter palästinensischer Zivilist:innen – mitten in als sicher geltenden Gebieten in Gaza-Stadt und Khan Yunis.

Herzstück der Beweisführung ist ein 38-minütiger Dokumentarfilm des unabhängigen palästinensischen Journalisten Younis Tirawi, veröffentlicht im Oktober 2024. Darin zu sehen: Videos, die palästinensische Zivilisten heimlich aufgenommen haben, aber auch Aufnahmen israelischer Soldaten selbst.

Die Bilder zeigen angeblich gezielte Tötungen, Misshandlungen und weitere Verstöße gegen internationales Recht.

Man spürt beim Lesen der Vorwürfe die ganze Schwere dieser Szenen – und gleichzeitig die Ohnmacht, die solche Bilder oft hinterlassen.

Juristische Hebel der Extraterritorialität

Warum Paris? Warum Frankreich?

Die Antwort liegt in der französischen Staatsbürgerschaft der beiden Beschuldigten. Diese ermöglicht es der französischen Justiz, aufgrund des Prinzips der extraterritorialen Zuständigkeit tätig zu werden. Konkret bedeutet das: Auch wenn die mutmaßlichen Taten nicht auf französischem Boden stattfanden, kann Frankreich seine Bürger dafür strafrechtlich verfolgen.

Eine Möglichkeit, die besonders dann relevant wird, wenn es vor Ort – in diesem Fall in Israel – keine Ermittlungen gibt.

Teil einer europäischen Rechtsbewegung

Interessant ist, dass diese Klage kein isolierter Einzelfall ist.

In mehreren europäischen Ländern laufen ähnliche Verfahren gegen Soldaten mit doppelter Staatsbürgerschaft, die in der israelischen Armee dienen oder dienten. Belgien, Deutschland und Italien prüfen ebenfalls Anklagen.

Ein juristischer Flächenbrand? Nicht unbedingt – eher ein Zeichen wachsender Bemühungen, internationale Rechtslücken zu schließen.

Die Frage der nationalen Verantwortung

Frankreich sieht sich nun mit einer unbequemen Tatsache konfrontiert: Nach Schätzungen der FIDH dienen derzeit rund 4.000 französische Staatsbürger in den israelischen Streitkräften. Was bedeutet das für die französische Verantwortung? Wie lässt sich sicherstellen, dass Staatsbürger bei Auslandseinsätzen keine Kriegsverbrechen begehen – oder dass sie dafür belangt werden, wenn sie es doch tun?

Hier steht nicht nur ein moralisches Prinzip auf dem Spiel. Frankreich ist als Unterzeichnerstaat der UN-Völkermordkonvention verpflichtet, die Tatbestände von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit zu verfolgen.

Durch die Klage mit Zivilbeteiligung ist die Einleitung einer richterlichen Untersuchung nahezu zwingend. Dadurch könnte die Justiz nicht nur die beiden Beschuldigten, sondern auch weitere mögliche Täter mit französischer Staatsbürgerschaft ins Visier nehmen.

Man darf nicht vergessen: Für die Opfer und ihre Familien ist diese Klage ein erster Schritt – vielleicht der einzige – zu Anerkennung und Gerechtigkeit.

Ein Ende der Straflosigkeit?

Die zentrale Frage bleibt: Kann dieser juristische Vorstoß die Kette der Straflosigkeit durchbrechen, die sich wie ein Schutzschild um Kriegsverbrechen legt? Viele hoffen darauf. Denn solange Täter glauben, jenseits jeder Gerichtsbarkeit zu agieren, bleibt das Völkerrecht ein zahnloser eingesperrter Tiger. Doch sobald ein nationales Gericht wagt, diesen Tiger loszulassen, verändert sich das Gleichgewicht.

Und genau hier könnte Paris ein Signal setzen.

Autor: Daniel Ivers

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