Sie retten Leben, löschen Brände, sind bei Unfällen die Ersten vor Ort – und trotzdem geraten sie immer häufiger selbst in Gefahr. Die Rede ist von den französischen Feuerwehrleuten, die mittlerweile nicht nur gegen Flammen kämpfen, sondern auch gegen eine wachsende Welle von Gewalt und Respektlosigkeit.
Alltag mit Risiko
1.500 Angriffe im Jahr 2024. Das ist traurige Realität – Tendenz steigend. Was früher absolute Ausnahmen waren, gehört heute in manchen Gegenden zur schlimmen Routine. Ob verbale Angriffe, körperliche Übergriffe oder gar gezielte Attacken mit Waffen oder Fahrzeugen – die „soldats du feu“, wie sie in Frankreich genannt werden, fühlen sich zunehmend wie Freiwild.
Ein besonders erschütternder Vorfall: In Évian-les-Bains wurde ein freiwilliger Feuerwehrmann mit voller Absicht von einem Auto überfahren – während er versuchte, ein gefährliches nächtliches Strassenrennen zu stoppen. Er überlebte nur knapp. Liegt im Koma. Die Kollegen? Fassungslos – und wütend.
Der moralische Kollaps
Hinter jeder Uniform steckt ein Mensch – mit Familie, Freunden und einem Beruf, der eigentlich aus Berufung entsteht. Doch wie lange noch? Viele berichten offen von Erschöpfung, von psychischer Belastung und dem Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Ein Feuerwehrmann bringt es auf den Punkt: „Wir sollen Leben retten. Aber wer schützt unser eigenes?“
In besonders sensiblen Stadtteilen bleibt das Feuerwehrauto mittlerweile manchmal stehen – aus Sicherheitsgründen. Kein schlechter Scherz, sondern pure Vorsicht. Es kommt vor, dass erst die Polizei anrücken muss, bevor die Feuerwehr überhaupt ausrücken kann. Das kostet Zeit – und manchmal Leben.
Politik im Schritttempo
Natürlich hat der Staat reagiert – zumindest ein bisschen. Testweise wurden Körperkameras eingeführt, in Brennpunktvierteln begleitet die Polizei Einsätze häufiger als früher. Doch die Feuerwehr selbst hält das für kaum mehr als Pflaster auf offene Wunden. Was sie fordern, ist eine klare gesellschaftliche Positionierung: mehr Rückhalt, klare rechtliche Rahmenbedingungen und die konsequente Durchsetzung von Strafen.
Denn obwohl das Gesetz harte Strafen für Angriffe auf Rettungskräfte vorsieht – bis zu zehn Jahre Haft und saftige Geldstrafen – bleiben die Verurteilungen oft aus. Das Gefühl, dass Täter kaum Konsequenzen fürchten müssen, frisst sich tief ins Vertrauen der Retter.
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
Die Gewalt gegen Feuerwehrleute ist kein Phänomen im luftleeren Raum. Sie zeigt, wie tief die Risse im gesellschaftlichen Gefüge mittlerweile gehen. Was ist das für ein Zustand, in dem ausgerechnet Lebensretter zur Zielscheibe werden?
Die Antwort ist komplex, aber nicht unlösbar. Klar ist: Es braucht mehr als nur neue Ausrüstung oder Polizeibegleitung. Es braucht Respekt – und zwar echten, nicht aufgesetzten. Dieser Respekt wächst nicht durch Appelle oder Social-Media-Kampagnen, sondern durch echte Aufklärung, Integration und gelebte Solidarität.
Ein gefährdeter Beruf mit Berufung
Was geschieht, wenn sich immer mehr Feuerwehrleute zurückziehen, wenn Ehrenamtliche aufhören oder Hauptberufliche den Job wechseln? Dann brennt es an allen Ecken – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Und diese Vorstellung ist alles andere als abwegig.
In Gesprächen mit Einsatzkräften fällt immer wieder ein Wort: „Abkehr“. Die Angst, dass irgendwann niemand mehr kommt, wenn der Notruf gewählt wird. Ein düsteres Szenario? Vielleicht. Aber sind wir nicht längst auf dem Weg dorthin?
Perspektivwechsel dringend nötig
Das Ansehen der Feuerwehr war in Frankreich – wie auch anderswo – jahrzehntelang unantastbar. Der Mann oder die Frau in Uniform galt als Held des Alltags. Heute: Skepsis, Misstrauen, Ablehnung. Eine gefährliche Entwicklung.
Aber es gibt auch Hoffnung. Initiativen von Bürgern, die sich öffentlich hinter ihre Feuerwehr stellen. Schulen, die Kinder mit Blaulichtteams bekannt machen. Kommunen, die den Dialog zwischen Bevölkerung und Rettungskräften stärken. Solche Ansätze sind klein – aber sie setzen etwas in Bewegung.
Denn eines ist sicher: Ohne ein starkes Netz an Rettern verliert jede Gesellschaft ein Stück ihrer Seele.
Von Andreas M. Brucker
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