Tag & Nacht




Mitten im April – eigentlich eine Zeit für die ersten Terrassencafés, Wanderstiefel und Sonnenbrillen – zeigt der Winter in den französischen Alpen plötzlich nochmal seine scharfen Krallen. In Tignes, einem beliebten Skiort in der Region Savoie, fielen am 17. April über Nacht mehr als ein Meter Neuschnee. Keine Schneeflockenromantik, sondern eine weiße Wucht, die alles lahmlegte.

Der Bürgermeister, Serge Revial, reagierte prompt. Um 15 Uhr galt Ausgangssperre, die ab 20 Uhr erneut in Kraft trat. Keine Autos auf den Straßen, keine Fußgänger. Der Kindergarten, die Schulen, das Skigebiet – alles dicht. Ein seltener Anblick im April. „Es ist das totale Chaos“, sagte ein Polizist aus Tignes dem Fernsehsender BFMTV – und man hört ihm förmlich an, dass die Lage angespannt ist.

Doch was ist da eigentlich passiert?

Die Ursache für dieses Wetterdrama liegt in einem sogenannten „Retour d’Est“. Dieses meteorologische Phänomen tritt auf, wenn feuchte Luftmassen aus der Poebene gegen die Alpen gedrückt werden. Dort kühlt die Luft ab – und entlädt sich in Form von heftigem Schneefall. Im April? Ja, das kann schon mal vorkommen. Doch in dieser Intensität war es selbst für alteingesessene Einheimische wie Didier Beauchet, der seit vier Jahrzehnten in Lanslebourg lebt, „wirklich außergewöhnlich“.

Der Schnee kam nicht nur überraschend, sondern brachte auch ernsthafte Gefahren mit sich.

In Val Thorens etwa wurde eine Person von einer Lawine verschüttet und in kritischem Zustand nach Grenoble ins Krankenhaus geflogen. Im italienischen Piemont endete das Unwetter sogar tödlich: Ein 92-jähriger Mann wurde tot in seinem überfluteten Haus gefunden.

Das Risiko war nicht nur theoretisch. Météo-France hatte eine Lawinenwarnung der Stufe 5 von 5 herausgegeben – Höchststufe. Zwar wurde die Alarmstufe im Laufe des Tages zurückgenommen, doch die Experten warnten weiterhin vor erhöhter Lawinengefahr. Vor allem bei dem plötzlichen Wetterumschwung mit Sonne und steigenden Temperaturen – da wird die Schneedecke instabil und unberechenbar.

Mehrere Skigebiete zogen die Notbremse. Kein Skibetrieb, keine Aufstiege, keine riskanten Abenteuer im Pulverschnee. Selbst passionierte Freerider mussten die Skier an die Wand hängen und auf besseres Wetter warten.

Und jetzt?

Natürlich stellt sich die Frage: Werden solche extremen Wetterlagen zur neuen Realität in den Alpen? Der Klimawandel bringt mehr Unberechenbarkeit, das ist längst kein Geheimnis mehr. Im einen Jahr schneit es kaum – im nächsten plötzlich zu viel auf einmal. Und beides kann gefährlich sein.

Doch die Ereignisse in Tignes zeigen auch, wie schnell Behörden, Wetterdienste und Einwohner zusammenarbeiten können, wenn es darauf ankommt. Die Koordination funktionierte. Und das rettet Leben.

Dass der Schnee ausgerechnet mitten im Frühling kam, macht die Geschichte nur eindrücklicher. Die Menschen hatten bereits mit dem Wechsel der Jahreszeit abgeschlossen – die warme Jacke verbannt, die Sonnencreme griffbereit. Und dann das: ein Wintereinbruch, der fast wie ein verspäteter Aprilscherz wirkt – nur eben mit echten Konsequenzen.

Wie geht man mit so etwas um?

Vielleicht hilft es, sich daran zu erinnern, dass die Natur nicht nach unserem Kalender tickt. Und dass Sicherheit manchmal bedeutet, einen Gang zurückzuschalten – selbst wenn man eigentlich schon ganz woanders sein wollte.

Tignes ist nicht allein mit dieser Erfahrung. Auch andere Alpenorte mussten Maßnahmen ergreifen, Skipisten schließen, Menschen in Sicherheit bringen. Ein eindrückliches Zeichen dafür, dass man in den Bergen nie ganz sicher vor Überraschungen ist.

Ein bisschen Frühling unter einer dicken Schneedecke – klingt romantisch, ist aber im Ernstfall alles andere als idyllisch. Die Lehre aus diesem Vorfall: Wachsam bleiben. Und den Winter nie zu früh abschreiben.

Von C. Hatty

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