Es war ein Moment, der die Welt anzuhalten schien. Als George Floyd am 25. Mai 2020 in Minneapolis unter dem Knie eines Polizisten starb, geriet nicht nur die amerikanische Polizeikultur in den Fokus – sein Tod durchbrach geografische, politische und gesellschaftliche Grenzen. Es war der Anfang einer globalen Gewissenserforschung, die laut und unbequem war – und notwendig.
Fünf Jahre später ist von der anfänglichen Wucht der Proteste viel in stille Ernüchterung übergegangen. Die Aufbruchstimmung – sie ist spürbar verblasst. Und doch: Wer genauer hinschaut, erkennt Spuren eines bleibenden Wandels. Nicht überall revolutionär, nicht überall erfolgreich, aber dennoch wirksam.
Deutschland: Aufarbeitung im Schneckentempo
Auch in Deutschland löste Floyds Tod eine beispiellose Solidarisierung aus. Zehntausende gingen auf die Straße, „Black Lives Matter“ wurde zum geflügelten Wort – zumindest für einige Wochen. Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen, Wandbilder in Großstädten und Diskussionen über strukturellen Rassismus bestimmten die Medien. Selbst Innenminister Seehofer musste sich damals der Frage stellen, warum so viele Deutsche gegen Polizeigewalt in den USA protestierten, während hierzulande kaum über Racial Profiling oder Diskriminierung in der Polizei gesprochen wurde.
Doch die politische Bilanz fünf Jahre später ist ernüchternd: Kaum nennenswerte gesetzliche Reformen, keine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeieinsätze auf Bundesebene, und eine polarisierte Debatte, die sich in parteipolitischen Grabenkämpfen verliert. Die Aufarbeitung erfolgt zäh – und oft nur dann, wenn medialer Druck aufgebaut wird.
Frankreich: Zwischen Zorn und Zähmung
In Frankreich, wo das Verhältnis zwischen Polizei und migrantisch geprägten Vorstadtbewohnern seit Jahrzehnten von Gewalt und Misstrauen geprägt ist, nahm Floyds Tod eine besonders symbolische Bedeutung ein. Die Parallelen zu Fällen wie dem von Adama Traoré, der 2016 in Polizeigewahrsam starb, sind unübersehbar. „Je ne peux pas respirer“ – „Ich kann nicht atmen“ – stand auch auf französischen Bannern. Es war der Funke, der bestehende Spannungen neu entfachte.
Doch der französische Staat reagierte nicht mit Reformen, sondern mit Repression. Das umstrittene „Sicherheitsgesetz“, das die Veröffentlichung von Polizeieinsätzen einschränken wollte, löste massive Proteste aus. Präsident Macron stellte zwar später Überlegungen zu mehr „Vertrauen zwischen Polizei und Bürgern“ an – doch konkrete Maßnahmen blieben spärlich.
Die Polizei in Frankreich ist hochmilitarisiert, die Polizeigewerkschaften extrem einflussreich. Wer Kritik übt, wird nicht selten als Gegner des Rechtsstaats dargestellt. Rassismus in der Polizei? Wird regelmäßig geleugnet. Vertrauen in den Staat? In vielen Banlieues ist das längst ein Fremdwort.
Zwischen Gedächtnis und Gegenwart
George Floyd ist längst zum Symbol geworden – ein Gesicht auf Wänden, ein Name in Songs, ein Satz auf T-Shirts. Die Erinnerung lebt, aber sie droht museal zu werden. Eine Ikone ohne Wirkungskraft, ein Mahnmal in der Landschaft des kollektiven Gewissens, das langsam wieder einschläft.
Dabei war die Wucht des Aufschreis 2020 ein historischer Moment – ein Fenster der Möglichkeit. Es wurde aufgerissen, aber nicht durchschritten. Warum?
Weil echte Veränderung unbequem ist. Weil Machtstrukturen sich nicht freiwillig abbauen. Und weil Empörung vergänglich ist – besonders in Zeiten, in denen andere Krisen die Aufmerksamkeit verschlingen. Ukrainekrieg, Inflation, Klimakrise, Nahostkonflikt – da fällt das Engagement für Gerechtigkeit schnell unter den Tisch.
Und jetzt?
Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Aufgabe: Das Gedenken nicht nur als Rückblick zu verstehen, sondern als Auftrag. Die Frage „Was hat sich verändert?“ führt uns oft zu Frustration. Die bessere Frage wäre: „Was sind wir bereit zu verändern – heute, morgen, dauerhaft?“
Wer George Floyds Namen ruft, ruft auch sich selbst zur Verantwortung. Nicht nur in den USA, sondern auch in Paris, Berlin und anderswo. Denn das Gift des strukturellen Rassismus ist kein exklusiv amerikanisches Problem. Es wirkt leise, oft unsichtbar – aber tief.
Also, was bleibt?
Vielleicht weniger als erhofft. Aber mehr als nichts. In Klassenzimmern wird heute anders über Rassismus gesprochen. In Behörden beginnen erste Fortbildungen zu Diversität. Junge Menschen sind wacher, vernetzter, politischer. Und da, wo sich Gesetze nicht ändern, ändern sich manchmal doch die Köpfe.
Von C. Hatty
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