Tag & Nacht




Der Himmel hatte keine Gnade. Am 2. Oktober 2020 prallte der Sturm „Alex“ mit einer Wucht auf die südfranzösischen Alpen, die alles bisher Dagewesene übertraf. Was blieb, war Verwüstung – und eine Region, die seither versucht, sich neu zu erfinden.

Fünf Jahre später ist in der Vallée de la Roya manches wieder aufgebaut – doch viele Narben bleiben.


Wenn Straßen zu Flüssen werden

Die Zahlen sind monströs: 80 % der Hauptverkehrsstraße zerstört, 200 schwere Beschädigungen in der Infrastruktur, 70 Kilometer Straße, die komplett erneuert werden mussten. Brücken, Häuser, Stromleitungen – alles wurde von den Wassermassen mitgerissen, als die Roya über die Ufer trat.

Die Orte entlang der Schlucht waren abgeschnitten wie Inseln im Gebirge.

Der Wiederaufbau begann fast sofort. Mit schwerem Gerät, politischen Versprechen und dem Mut der Bewohner. Brücken wie die berühmten 14 Arches oder das Bauwerk von Bourg-Neuf in Tende sind mittlerweile neu errichtet und symbolisieren mehr als nur Technik: Sie stehen für ein neues Kapitel der Hoffnung.


Starkregen? Diesmal nicht.

Denn das Ziel war nie nur, den Zustand von früher zurückzubekommen.

Die neue Infrastruktur ist robuster, klüger geplant, widerstandsfähiger gegen das, was die Zukunft bringen könnte. Als im Oktober 2024 der Sturm „Kirk“ – durchs Tal raste, hielten die Brücken stand. Kein Vergleich zu damals. Man spricht im Département Alpes-Maritimes mittlerweile von „climato-résilienter Bauweise“ – einem Bauprinzip, das mit der Natur rechnet, nicht gegen sie arbeitet.


Und doch bleiben viele Wunden

Straßen kann man reparieren – Leben nicht. Manche Bewohner leben auch fünf Jahre später noch in Provisorien. Ganze Familien mussten umziehen, der lokale Handel hat sich noch nicht vollständig erholt. Der wirtschaftliche Pulsschlag der Region ist unregelmäßig – mal Hoffnung, mal Ernüchterung.

Die psychischen Spuren? Tief. Man hört Geschichten von Menschen, die bei jedem Starkregen das Nötigste packen, nur für den Fall.


Erinnern statt Verdrängen

Was bleibt von so einer Katastrophe? In der Vallée de la Roya ist daraus eine kollektive Erinnerung geworden – tastend, verletzlich, aber lebendig. Die Initiative „Remontons la Roya“ etwa setzt sich dafür ein, die Region nicht nur ökologisch und städtebaulich, sondern auch menschlich widerstandsfähiger zu machen.

In Schulen wird die Geschichte des Sturms erzählt, als Lehre, nicht als Trauma. Wer die Menschen hier sprechen hört, merkt schnell: Diese Talbewohner sind keine Opfer – sie sind Zeugen einer Zeitenwende.


Zukunft zwischen Fels und Wasser

Die Roya-Schlucht steht heute exemplarisch für viele ländliche Regionen Europas, die zunehmend an den Rand klimatischer Extremlagen geraten. Es ist ein zähes Ringen um Erneuerung, Identität und Sicherheit.

Aber es ist eben auch ein Beweis: Selbst nach einem Sturm, der alles mit sich riss, kann wieder etwas wachsen. Vielleicht sogar etwas Besseres.

Autor: Andreas M. Brucker

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