Tag & Nacht




Es war einmal ein Ort an der Côte d’Azur, der Kinderherzen höherschlagen ließ – das Marineland d’Antibes. Heute ist davon wenig mehr als eine traurige Erinnerung geblieben. Seit dem 5. Januar 2025 herrscht Stillstand. Der einstige Vorzeigepark für Meeresfauna ist geschlossen, seine Bewohner zurückgelassen wie vergessene Schätze in einem sinkenden Schiff. Zwei Orkas – Wikie und ihr Sohn Keijo – sowie zwölf Delfine treiben einsam ihre Runden in veralgten Becken. Ihr Leben? Eine Endlosschleife aus Monotonie, Stress und Unsicherheit.

Was ist schiefgelaufen?

Die französische Regierung zog Anfang des Jahres die Reißleine: Auftritte von Walen und Delfinen wurden per Gesetz verboten. Ein klarer Schritt zugunsten des Tierschutzes – theoretisch. Praktisch hat dieses Verbot eine Lücke gerissen, durch die nun genau jene Tiere fallen, die es schützen sollte. Denn eine Lösung, wohin mit den Meeresriesen, wurde schlichtweg vergessen.

Triste Realität hinter verschlossenen Toren

Die neuesten Bilder aus der Luft – veröffentlicht von der kanadischen Tierschutzorganisation TideBreakers – sprechen eine deutliche Sprache. Wo einst Kinder jauchzten und Tiertrainer in Neoprenanzügen Sprünge choreografierten, herrscht jetzt gespenstische Ruhe. Die Becken? Überwuchert mit Algen. Die Technik? Teilweise verrottet. Wikie und Keijo schwimmen apathisch im Kreis, ohne Reize, ohne Herausforderung. Ihr Blick – leer.

Die Parkleitung beteuert, dass alles unter Kontrolle sei. Dass Tierpfleger im Einsatz bleiben und die Becken gepflegt würden. Doch Tierschützer schlagen Alarm. Die Bedingungen – so sagen sie – seien alles andere als artgerecht.

Wohin mit den Walen?

Diverse Relokalisierungsversuche verliefen im Sand. Ein geplanter Transfer ins japanische Kobe Suma Sea World wurde von den französischen Behörden gestoppt – aus Tierschutzgründen. Der Loro Parque auf Teneriffa lehnte eine Aufnahme aus Kapazitätsgründen ab. Ein Hoffnungsschimmer leuchtet aus Kanada auf: Das Whale Sanctuary Project bietet ein riesiges, natürliches Refugium in der Provinz Neuschottland an. Doch hier meldet Frankreich erneut Bedenken – ein solcher Transport sei zu belastend für die Orkas.

Man fragt sich: Was wiegt schwerer – ein beschwerlicher Umzug oder ein trister Verfall?

Zwischen Recht und Wirklichkeit

Auch juristisch ist die Lage verzwickt. Nach einer Klage der Organisation One Voice verbot ein Gericht im Dezember 2024 jedweden Transfer der Orkas – bis eine unabhängige Untersuchung über deren Gesundheitszustand abgeschlossen ist. Ein Gutachten, das noch immer aussteht. Derweil vergehen die Tage – und mit ihnen die Chance auf Rettung.

Tragödien, die Spuren hinterlassen

Die Angst vor weiteren Schicksalsschlägen ist nicht unbegründet. Bereits in den vergangenen beiden Jahren starben zwei Orkas des Parks: Moana im Jahr 2023 an einer Blutvergiftung, Inouk 2024 nach dem Verschlucken eines Metallobjekts. Die Umstände waren mehr als alarmierend. Und doch: Geschehen ist seitdem kaum etwas.

Hoffnung in Sicht?

Trotz der Schließung kümmern sich noch rund fünfzig Mitarbeiter um die zurückgelassenen Tiere. Doch die Ressourcen schwinden. Und mit ihnen die Zeit. Experten warnen: Ohne baldige Entscheidung drohen weitere Todesfälle.

Tierschutzorganisationen fordern einen klaren Kurswechsel. Ein glaubwürdiges, internationales Rettungskonzept – nicht morgen, sondern jetzt. Denn jede Woche, jeder Monat ohne Bewegung verschärft das Problem. Es geht hier nicht um Logistik – es geht um das Leben der Tiere.

Der letzte Vorhang ist gefallen – und jetzt?

Marineland steht symbolisch für das Ende einer Ära – und für den schmerzhaften Übergang in eine neue. Eine Ära, in der Tiere nicht länger zur Unterhaltung missbraucht werden, sondern als empfindsame Wesen respektiert. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine schmerzhafte Lücke. Wikie und Keijo schwimmen mittendrin.

Wie viele Orkas müssen noch sterben, bevor wir es begreifen?

Von Andreas M. Brucker

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