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Die Hoffnungen auf eine baldige Feuerpause im Gazastreifen sind erneut zunichte gemacht worden. Am Mittwoch gaben sowohl die Vereinigten Staaten als auch Israel ihren Rückzug aus den laufenden Verhandlungen in Doha, Katar, bekannt. Der US-Sondergesandte Steve Witkoff warf der Hamas öffentlich vor, nicht in gutem Glauben zu verhandeln. Stattdessen werde man nun „alternative Optionen“ prüfen, um die israelischen Geiseln zu befreien und zugleich „für die Menschen in Gaza eine stabilere Lage“ zu schaffen.

Der abrupte Abbruch der Gespräche kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die humanitäre Lage in Gaza weiter dramatisch zuspitzt. Über zwei Millionen Menschen sind laut UN-Angaben akut von Hunger, Krankheiten und mangelnder medizinischer Versorgung bedroht. Der Rückzug der Verhandlungspartner könnte eine langanhaltende politische Blockade zementieren – mit weitreichenden Folgen für die Region.

Ein ambitionierter, aber fragiler Verhandlungsansatz

Die jüngste Verhandlungsrunde in Doha war Teil eines diplomatischen Plans, der in mehreren Phasen umgesetzt werden sollte: Eine zunächst 60-tägige Feuerpause, die schrittweise Freilassung israelischer Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge sowie ein deutlich ausgeweitetes humanitäres Hilfsprogramm. Hinter dem Plan standen die USA, Ägypten und Katar – drei Akteure, die wiederholt zwischen Israel und der Hamas vermittelt haben.

Doch der Teufel lag, wie so oft, im Detail. Der Status der israelischen Präsenz im nördlichen Gazastreifen, die Bedingungen für eine mögliche dauerhafte Waffenruhe sowie die politische Zukunft des von der Hamas kontrollierten Gebiets sorgten für tiefgreifende Differenzen. Laut US-Medienberichten verlangte die Hamas eine verbindliche Zusage für einen dauerhaften Waffenstillstand – ein Punkt, den Israel als „inakzeptabel“ zurückwies, solange die Hamas weiter militärisch aktiv sei. Die israelische Regierung sieht in jeder Pause ohne militärische Entmachtung der Hamas ein Risiko für die eigene Sicherheit.

Rückzug als Strategie? Die Rolle der USA unter Trump

Die Rolle der Vereinigten Staaten in diesen Verhandlungen war von Anfang an ambivalent. Unter dem republikanischen Präsidenten Donald Trump setzt Washington verstärkt auf bilaterale Hebel gegenüber regionalen Akteuren wie Ägypten und Saudi-Arabien – weniger auf multilaterale Formate oder UN-Initiativen. Der neue Sondergesandte Steve Witkoff, ein enger Vertrauter Trumps, vertritt dabei eine konfrontativere Linie gegenüber der Hamas.

Die Entscheidung zum Verhandlungsabbruch fällt in eine Zeit, in der der innenpolitische Druck auf die US-Regierung wächst, sichtbare Erfolge in der Nahostpolitik vorzuweisen. Zugleich steht Trump in der Kritik, die humanitären Aspekte der Krise zu vernachlässigen. Beobachter wie die Brookings Institution betonen, dass ein Verzicht auf diplomatische Kanäle langfristig kontraproduktiv sein könnte – nicht zuletzt, weil ein militärischer Alleingang zur Befreiung der Geiseln sowohl in Gaza als auch international erhebliche Risiken birgt.

Hamas unter Druck – doch mit taktischem Spielraum

Die Führung der Hamas zeigte sich nach dem Abbruch der Gespräche demonstrativ überrascht und erklärte, man sei weiterhin „voll und ganz zur Einigung bereit“. Diese Reaktion kann als Versuch gewertet werden, die eigene Gesprächsbereitschaft gegenüber internationalen Vermittlern zu demonstrieren und Israel als destruktiven Akteur darzustellen. Gleichwohl bleibt unklar, wie weit die Hamas tatsächlich bereit ist, zentrale Forderungen der Gegenseite zu erfüllen – etwa die Abgabe militärischer Kontrolle oder eine langfristige Waffenruhe ohne politische Gegenleistung.

Taktisch gesehen profitiert die Hamas derzeit von der sich verschlechternden Lage im Gazastreifen: Je dramatischer die humanitäre Situation, desto größer der internationale Druck auf Israel und seine Verbündeten, einer Einigung zuzustimmen. Gleichzeitig nutzt die Organisation die Verhandlungen, um ihre Position als alleiniger Ansprechpartner in Gaza zu festigen – auf Kosten der palästinensischen Autonomiebehörde, die politisch marginalisiert bleibt.

Eine Bevölkerung im Würgegriff

Während sich Diplomatie und geopolitische Interessen ineinander verschränken, ist die Zivilbevölkerung in Gaza die eigentliche Leidtragende. Nach Angaben der „Times“ sind allein in den vergangenen zwei Monaten mehr als 1.000 Menschen bei der Ausgabe von Hilfsgütern ums Leben gekommen. Über 30.000 Kinder gelten als akut unterernährt. Internationale Hilfsorganisationen berichten von einem Zusammenbruch der öffentlichen Infrastruktur: Krankenhäuser operieren ohne Strom, sauberes Wasser ist vielerorts nicht mehr verfügbar, und die Verbreitung von Seuchen nimmt zu.

Die UN warnten zuletzt eindringlich vor einer „humanitären Katastrophe historischen Ausmaßes“. Die Aussetzung der Gespräche droht nun nicht nur die Lage vor Ort weiter zu eskalieren, sondern auch das Vertrauen in diplomatische Lösungen zu untergraben.

Noch ist offen, ob alternative Vermittlungsformate – etwa durch die EU oder den Golf-Kooperationsrat – einen neuen Impuls setzen können. In einem zunehmend fragmentierten geopolitischen Umfeld erscheint dies jedoch unwahrscheinlich. Zu tief sind das Misstrauen, die sicherheitspolitischen Interessen und die innenpolitischen Zwänge auf beiden Seiten.

Die Ereignisse von Doha zeigen erneut, wie schwierig es ist, zwischen Kriegslogik, Sicherheitsbedenken und humanitärer Verantwortung eine dauerhafte Balance zu finden. Solange keine ernsthafte politische Perspektive für Gaza geschaffen wird, bleiben Feuerpausen bloße Atempausen – ohne Aussicht auf Frieden.

Autor: Andreas M. Brucker

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