Tag & Nacht


Nebel zieht durch die Wälder, Mauern flüstern von alten Tragödien, und irgendwo in einem dunklen Flur knarrt eine Tür—ganz ohne Wind. Was früher Stoff für Legenden oder Horrorgeschichten war, ist heute ein handfestes Geschäftsmodell: Der Boom des düsteren Tourismus in Frankreich, vom Spukschloss bis zur Geisterführung, zeigt, dass Angst sich verkauft. Und zwar ziemlich gut.

Gänsehaut als Geschäftsmodell

Frankreich ist nicht nur das Land des Weins, der Liebe und der Kathedralen—es ist auch ein Land voller Mythen, dunkler Geschichten und architektonischer Relikte, die aussehen, als seien sie direkt aus einem Gothic-Roman gefallen. Kein Wunder also, dass immer mehr Touristinnen und Touristen sich gezielt auf die Suche nach dem „Frisson“, dem wohligen Schauer, machen.

Der Begriff „Dark Tourism“ ist längst mehr als ein akademisches Schlagwort. Er beschreibt das gezielte Reisen an Orte, die mit Tod, Tragödie oder Übernatürlichem verbunden sind. Und das funktioniert erstaunlich gut. Besonders in abgelegenen Regionen, in denen klassische touristische Highlights fehlen, füllen diese Orte plötzlich Hotels, lassen Instagram glühen und bringen frischen Wind in verstaubte Schlossgemäuer.

Vom Denkmal zur Schreckens-Attraktion

Nehmen wir das Château de Fougeret in der Vienne. Offiziell ein geschütztes Kulturdenkmal—inoffiziell das „meistbespukte Schloss Frankreichs“. Was früher nur von Historikern besucht wurde, ist heute eine Mischung aus Bed & Breakfast, Spukhaus und Selbsttest für die eigene Nervenstärke. Wer hier übernachtet, bekommt knarzende Böden, flüsternde Stimmen und angebliche Erscheinungen inklusive. Rustikal, aber echt.

Ähnlich geht es im Château de Veauce im Allier zu. Dort soll seit der Renaissance der Geist einer zu Tode gehungerten Magd die Mauern heimsuchen. Und im Château de Commarque in der Dordogne reitet ein gespenstisches Pferd durch die Ruinen, angeblich auf der Suche nach seinem Herrn. Ob man’s glaubt oder nicht—der Nervenkitzel funktioniert.

Warum läuft das so gut?

Die Antwort liegt im Bauchgefühl, nicht im Kopf. Menschen lieben kontrollierte Angst. Wer sich gruselt, lebt intensiver. Wer dann noch eine Kamera dabei hat und den Freunden beweisen kann, dass er mutig genug war, bei Vollmond durch ein Schloss zu laufen—umso besser.

Hinzu kommt: Der Grusel braucht keine Millioneninvestitionen. Das Setting ist meist schon da. Die Legende macht daraus ein Event. Social Media erledigt den Rest. Und plötzlich wird aus einem verfallenen Gutshof ein Hotspot für Halloween-Fans und Spiritisten.

Zwischen Faszination und Fragezeichen

Klar ist aber auch: Wo Schatten ist, ist nicht nur Licht. Der Grat zwischen respektvollem Gedenken und Voyeurismus ist schmal. Wird hier echte Geschichte zur Kulisse? Droht der Ausverkauf kulturellen Erbes? Was passiert mit Gebäuden, die mehr Festivalbühne als Denkmal sind?

Manche Stimmen warnen vor einer „Disneyfizierung“ des Todes, andere sehen darin eine Form moderner Narration—eine neue Art, sich mit Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Ein Markt ohne Maßband

So erfolgreich die Idee auch ist—zahlenmäßig ist der „Tourismus des Grauens“ bislang kaum erfasst. Es gibt Rankings, Google-Suchanfragen, Buchungen über spezielle Portale. Aber echte Umsatz- oder Beschäftigtenzahlen? Fehlanzeige. Die Ökonomie der Angst bleibt ein weitgehend unkartografiertes Gelände.

Das liegt auch daran, dass viele Angebote informell oder saisonal laufen. Schlossbesitzer vermarkten ihre Immobilie über soziale Netzwerke oder bieten exklusive Events an. Der Staat schaut meist zu, solange Denkmalschutz und Sicherheit nicht gefährdet sind.

Was bleibt, ist die Atmosphäre

Für deutsche Besucherinnen und Besucher bietet sich mit diesem Phänomen eine neue Perspektive auf Frankreich: Abseits von Paris, Lavendelfeldern und Côte d’Azur warten Orte, die Geschichten erzählen—manche traurig, manche grausam, manche einfach nur schaurig-schön. Wer offenen Geistes reist und ein wenig Neugier (und Mut) mitbringt, kann hier Erlebnisse finden, die in keinem Reiseführer stehen.

Ob es ein kurzlebiger Trend ist oder ein echter Impulsgeber für ländliche Regionen? Das wird die Zeit zeigen. Sicher ist nur: Solange Menschen sich gruseln wollen, wird es einen Markt dafür geben. Und solange Schlösser ihre Türen für Nachtführungen öffnen, werden Geschichten lebendig bleiben—ob real oder erfunden.

Autor: Andreas M. Brucker

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