Tag & Nacht




Es gibt Gedenktage, die leise vorüberziehen – und doch betreffen sie uns alle. Der Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, jedes Jahr am 28. April, ist so ein Tag. Er mag im Schatten großer internationaler Feiertage stehen, doch seine Bedeutung reicht weit tiefer in unser aller Leben hinein, als es auf den ersten Blick scheint.

Denn wer von uns hat nicht selbst schon erlebt, wie belastend eine gefährliche oder ungesunde Arbeitssituation sein kann? Wie lähmend der Stress, wie schwer die körperliche Erschöpfung? Und wer kennt nicht jemanden, der durch Arbeitsunfälle, psychische Belastungen oder mangelhaften Schutz gesundheitliche Schäden davongetragen hat?


2,78 Millionen Tote – jedes Jahr

Die Zahlen sprechen eine Sprache, die kaum Besorgnis erregender sein könnte: Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben jährlich weltweit 2,78 Millionen Menschen an arbeitsbedingten Erkrankungen oder Unfällen. Fast 400 Millionen weitere erleiden jedes Jahr Verletzungen oder gesundheitliche Schäden bei der Arbeit.

Das ist kein Randthema. Das ist ein globales Desaster.

Und doch scheint diese Dimension in vielen Debatten unterzugehen. Wir sprechen über Wirtschaftswachstum, Digitalisierung, Innovation – aber selten über das Fundament, auf dem all das steht: die Gesundheit der arbeitenden Menschen.


Zwischen Büro und Bau: Arbeit birgt überall Risiken

Sicherheit am Arbeitsplatz – das klingt nach Helmen, Stahlkappenschuhen und Schutzbrillen. Und ja, in der Bauindustrie, in der Produktion, im Handwerk sind solche Schutzmaßnahmen unverzichtbar. Doch das ist längst nicht die ganze Geschichte.

Psychische Belastungen, Stress, Burnout – das sind die unsichtbaren Risiken, die genauso gefährlich sein können wie ungesicherte Gerüste oder Maschinen ohne Not-Aus-Schalter. Besonders in unserer zunehmend digitalen Welt, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, wachsen die psychischen Belastungen rasant. Wer permanent erreichbar ist, lebt im Dauerstress.

Haben wir also die Sicherheit im Blick, dürfen wir die Gesundheit nicht vergessen – und das heißt auch mentale Gesundheit.


Der Preis schlechter Arbeitsbedingungen

Geringe Sicherheitsstandards und schlechte Arbeitsbedingungen sind nicht nur ein individuelles Problem. Sie kosten auch Unternehmen und Volkswirtschaften Unsummen. Krankheitsbedingte Ausfälle, Produktionsstopps, teure Rehabilitationsmaßnahmen – das summiert sich. Die ILO schätzt, dass fast vier Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts durch Arbeitsunfälle und Krankheiten verloren gehen.

Das sind keine Peanuts.

Gleichzeitig zeigt sich, dass Investitionen in den Arbeits- und Gesundheitsschutz längst keine reine Pflichtaufgabe mehr sind, sondern auch ökonomisch Sinn machen. Ein gesunder Arbeitsplatz bedeutet motivierte Mitarbeitende, weniger Fehlzeiten und langfristig höhere Produktivität.

Muss man das eigentlich noch erklären?


Fortschritte – aber keine Entwarnung

Natürlich: Die Arbeitswelt hat sich verändert. In vielen Ländern sind Arbeitsschutzgesetze heute fester Bestandteil der Unternehmenspraxis. Gewerkschaften, Betriebsräte, internationale Organisationen wie die ILO – sie alle haben in den letzten Jahrzehnten viel bewegt.

Doch wer genauer hinsieht, merkt schnell: Es gibt immer noch gewaltige Baustellen.

In zahlreichen Entwicklungsländern sind grundlegende Sicherheitsstandards oft ein Luxus, den sich nur wenige Betriebe leisten. Wanderarbeiter schuften unter gefährlichen Bedingungen, Textilarbeiterinnen in Asien riskieren ihr Leben in unsicheren Fabriken – oft für Produkte, die wir hierzulande selbstverständlich konsumieren.

Und selbst in hochentwickelten Ländern wie Deutschland? Auch hier steigen Stress, Burnout und psychische Erkrankungen seit Jahren an. Zwischen überfüllten Krankenhäusern, unterbesetzten Pflegeheimen und überlasteten Lehrkräften brodelt es. Die Pandemie hat diese Probleme nicht geschaffen – sie hat sie sichtbarer gemacht.


Digitalisierung: Fluch oder Segen für die Arbeitssicherheit?

Ein neues Spielfeld in der Arbeitswelt ist die Digitalisierung. Roboter, KI, Automatisierung – das alles birgt Chancen. Körperlich gefährliche Arbeiten können Maschinen übernehmen, das Risiko für den Menschen sinkt. Klingt gut, oder?

Aber gleichzeitig entstehen neue Risiken: Monotone Bildschirmarbeit, Bewegungsmangel, soziale Isolation im Homeoffice. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Arbeit – sie verändert auch die Anforderungen an den Gesundheitsschutz.

Sind wir darauf vorbereitet?


Verantwortung liegt bei uns allen

Der Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz erinnert uns daran: Arbeitsbedingungen sind kein Zufall. Sie sind das Ergebnis von politischen Entscheidungen, von Unternehmensstrategien – und von gesellschaftlichem Engagement.

Ob ein Mensch gesund und sicher arbeiten kann, sollte kein Glücksfall sein.

Arbeitgeber haben die Pflicht, sichere Bedingungen zu schaffen. Aber auch Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Politik und Verbraucher tragen Verantwortung. Wer sich für faire Arbeitsbedingungen starkmacht, der kämpft nicht nur für andere – er kämpft für die Grundlage eines funktionierenden Miteinanders.


Jeder Unfall ist einer zu viel

Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieses Tages: Jeder Unfall, jede Erkrankung, die durch Arbeit verursacht wird, ist einer zu viel. Jeder Todesfall ein tragisches Versagen.

Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind kein Luxus, kein Bonus – sie sind ein Grundrecht.

Also, nutzen wir diesen Tag. Denken wir nach, schauen wir genauer hin, stellen wir Fragen: Was braucht es, damit Arbeit gesund bleibt? Wie können wir Veränderungen anstoßen – bei uns selbst, in unseren Betrieben, in der Gesellschaft?

Denn Arbeit soll uns ernähren, nicht zerstören.

Von Andreas M. B.

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