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Wenn sich Donald Trump und Wladimir Putin am Freitag im entlegenen Anchorage treffen, um über den Ukrainekrieg zu sprechen, dann fehlt ein zentraler Akteur: die Ukraine selbst. Auch die europäischen Partner sind außen vor. Für Präsident Wolodymyr Selenskyj ist das mehr als nur ein Affront – es ist eine geopolitische Schwächung in einem Moment, in dem seine militärische, politische und diplomatische Position ohnehin unter erheblichem Druck steht.

Die Abwesenheit der Ukraine bei diesem bilateralen Gipfel markiert eine Rückkehr zu einem machtpolitischen Denken, das der Logik der Einflusssphären folgt. Wenn über die territoriale Integrität eines Staates verhandelt wird, ohne dessen Vertreter einzubeziehen, degradiert dies diesen Staat symbolisch wie faktisch zum Objekt internationaler Politik. Die Formel „Wer nicht am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte“ bringt diese Logik auf den Punkt.

Für Selenskyj bedeutet dies eine sichtbare Marginalisierung: Die beiden mächtigsten Atommächte der Welt debattieren über das Schicksal seines Landes, ohne ihn zu konsultieren. Selbst wenn es das erklärte Ziel des Treffens ist, einen Waffenstillstand zu erreichen, bleibt der Ausschluss Kiews ein diplomatischer Affront und ein Signal an andere Akteure – insbesondere an Russland –, dass militärische Aggression nicht notwendigerweise zu Isolation, sondern womöglich sogar zu Verhandlungsgewinnen führen kann.

Washingtons Kurswechsel und die Angst vor einem Deal zu Lasten der Ukraine

Donald Trump hat bereits mehrfach durchblicken lassen, dass er wenig Interesse daran hat, die harte Linie seines Vorgängers gegenüber Russland fortzusetzen. Vielmehr betont er seine Bereitschaft zu einem schnellen Deal – auch um einen außenpolitischen Erfolg vor den Zwischenwahlen zu präsentieren. In Kiew wächst daher die Sorge, dass die USA bereit sein könnten, territoriale Konzessionen der Ukraine zumindest in Erwägung zu ziehen.

Besonders brisant ist, dass Trump zuletzt öffentlich sein Unverständnis darüber geäußert hat, dass die Ukraine ein mögliches „Gebietstausch“-Modell kategorisch ablehnt. Diese Haltung untergräbt die ukrainische Verhandlungsposition und stellt indirekt das westliche Bekenntnis zur Unverletzlichkeit international anerkannter Grenzen infrage. Ein Friedensschluss, der auf Kosten ukrainischer Territorien geht, käme einer politischen Kapitulation gleich – und würde innenpolitisch von Selenskyj wohl kaum vermittelbar sein.

Militärische Rückschläge und schwindende Spielräume

Auf dem Schlachtfeld verzeichnet Russland seit Wochen kleine Fortschritte – insbesondere im Donbass. Ukrainische Truppen sehen sich in mehreren Frontabschnitten zum Rückzug gezwungen, Evakuierungen ziviler Bevölkerungsteile deuten auf eine sich verschärfende Lage hin. Zwar sind diese Bewegungen taktischer Natur und keine strategische Wende, doch sie verstärken den Eindruck eines zunehmenden Kräfteungleichgewichts.

Hinzu kommt die strukturelle Abhängigkeit Kiews vom Westen: Ohne ausländische Waffenlieferungen und milliardenschwere Finanzhilfen – auch zur Deckung laufender Staatsausgaben – wäre der ukrainische Staat kaum handlungsfähig. Dass die US-Hilfen unter Trump bereits zurückgefahren wurden, verschärft die Unsicherheit. In dieser Lage wächst der Druck auf Selenskyj, Kompromissbereitschaft zu signalisieren – selbst wenn dies seine innenpolitische Basis weiter erodieren lässt.

Die diplomatische Rehabilitierung Putins

Der Gipfel in Alaska bedeutet nicht nur eine außenpolitische Herausforderung für die Ukraine, sondern auch eine symbolische Aufwertung für Russland. Seit der Invasion im Februar 2022 war Putin weitgehend von der westlichen Staatengemeinschaft isoliert. Nun trifft er sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten auf Augenhöhe – ohne dass Russland zuvor substanzielle Zugeständnisse gemacht hätte.

Diese Normalisierung internationaler Kontakte trotz fortbestehender Aggression birgt langfristige Risiken: Sie könnte als Signal verstanden werden, dass militärische Fakten geschaffen und später diplomatisch legitimiert werden können. Für autokratische Regime weltweit wäre dies eine fatale Ermutigung. Dass Putin nun mit einem US-Präsidenten verhandelt, ohne dass die Kriegshandlungen nachgelassen haben oder Rückzüge erfolgt sind, stellt die Glaubwürdigkeit westlicher Abschreckung infrage.

Ein Gipfel mit offenem Ausgang – aber großer Wirkung

Ob das Treffen zwischen Trump und Putin zu konkreten Ergebnissen führt, ist offen. Einige Beobachter verweisen auf frühere Treffen der beiden Präsidenten, die eher als mediale Inszenierungen denn als diplomatische Durchbrüche in Erinnerung geblieben sind. Dennoch bleibt das Risiko bestehen, dass symbolische Gesten – etwa ein bilateraler Handschlag oder die Ankündigung eines vagen Fahrplans – bereits als Fortschritt verkauft werden.

Für Selenskyj ergibt sich daraus eine Zwangslage: Sollte Trump eine Einigung mit Putin präsentieren, wird es schwer sein, sich dieser öffentlich zu widersetzen, ohne als Friedensverweigerer dazustehen. Gleichzeitig wäre die Zustimmung zu einem unausgewogenen Kompromiss ein politischer Offenbarungseid. In jedem Fall zeigt der Gipfel in Alaska, wie fragil die diplomatische Rückendeckung für die Ukraine geworden ist – und wie dringend notwendig eine konsolidierte europäische Position wäre, um weiteren geopolitischen Erosionsprozessen entgegenzuwirken.

Autor: Andreas M. Brucker

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