Elon Musk hat mal wieder geliefert. Diesmal kein Auto, keine Rakete, kein Satellit – sondern eine ganze Wissensplattform: „Grokipedia“. Der Name klingt nach Internet-Scherz, doch der Anspruch dahinter ist alles andere als ironisch. Es geht ums Ganze: Wahrheit, Objektivität, Freiheit von Ideologie – zumindest, wenn man dem reichsten Mann der Welt Glauben schenken möchte.
Was da am 27. Oktober unter der Versionsnummer 0.1 online ging, soll eine Alternative zum „ideologisch verzerrten“ Wikipedia darstellen. So zumindest Musks Sicht der Dinge – und die teilt er bekanntlich gern und lautstark mit seinen knapp 160 Millionen Followern auf X, dem früheren Twitter. Dort verkündete er: Grokipedia sei bereits „besser als Wikipedia“ – und Version 1.0 solle „zehnmal besser“ werden.
Aber was steckt wirklich hinter dieser digitalen Enzyklopädie, die mehr verspricht als bloß Informationen?
Ein Wikipedia für Musk-Fans
Schon beim ersten Blick wird klar: Grokipedia ist kein neutraler Wissensspeicher, sondern ein Kind seiner Eltern. Und das ist in erster Linie Elon Musk – mit seinem Unternehmen xAI, das hinter der neuen Plattform steht. Der eigentliche Autor vieler Inhalte: die hauseigene KI namens „Grok“. Der Chatbot, ebenfalls von xAI entwickelt, füttert die Artikel mit Text – auf Basis unklarer Quellenlage, aber klarem ideologischem Unterton.
Beispiel gefällig?
Die Seite über Elon Musk selbst beginnt mit Lobeshymnen auf seinen „Einfluss auf den öffentlichen Diskurs“ und weist prompt auf die „kritische Berichterstattung linker Medien“ hin. Beim Thema „Black Lives Matter“ erwähnt Grokipedia vor allem Ausschreitungen und Versicherungsschäden – wohingegen friedliche Demonstrationen, wie sie bei Wikipedia hervorgehoben werden, unter den Tisch fallen.
Oder die Darstellung des konservativen Kommentators Tucker Carlson: Hier wird sein „Kampf gegen systematische Medien-Bias“ gewürdigt, gestützt auf ein einziges Zitat aus einem Artikel – und zwar von Carlson selbst. Objektivität sieht anders aus.
Von der Crowdsourcing-Wissensplattform zur KI-Wahrheitsmaschine
Der Unterschied zu Wikipedia ist grundlegend. Während Letzteres seit 2001 auf das Prinzip der Schwarmintelligenz setzt – mit freiwilligen Autor:innen, diskussionsfreudiger Community und einem neutralen Standpunkt als oberstes Ziel –, stammt der Großteil der Grokipedia-Inhalte aus der Feder der KI. Zwar ist die Software Open Source, also offen zugänglich, doch bleibt unklar, wer Inhalte überprüft, redigiert oder kontextualisiert.
Musk selbst bezeichnet Grokipedia als „frei von Propaganda“. Es sei ein „Wissensprojekt für die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“. Doch die Beispiele aus der Beta-Version erzählen eine andere Geschichte. Sie zeigen: Wahrheit ist hier ein dehnbarer Begriff – und offenbar stark davon abhängig, wer sie definiert.
Politik, Polemik und persönliche Rache
Dass Musk mit Wikipedia seit Längerem auf Kriegsfuß steht, ist kein Geheimnis. 2024 hatte er dem Portal öffentlich vorgeworfen, von „linksextremen Aktivisten kontrolliert“ zu sein, und dazu aufgerufen, keine Spenden mehr zu leisten. Auch innerhalb der republikanischen Partei in den USA ist die Kritik an Wikipedia längst ein rotes Tuch geworden.
Zwei republikanische Abgeordnete, James Comer und Nancy Mace, leiteten im August eine Untersuchung wegen „gezielter Manipulation der öffentlichen Meinung“ über Wikipedia ein. Der Vorwurf: Organisierte Eingriffe in Artikel, um konservative Positionen zu diskreditieren.
Unterstützung für Grokipedia kommt dementsprechend vor allem von rechts. Besonders auffällig: Auch der ultranationalistische russische Ideologe Alexander Dugin lobte das Projekt überschwänglich. Seine Grokipedia-Seite sei „neutral und gerecht“ – ganz im Gegensatz zu seinem Wikipedia-Eintrag, den er als „diffamierend“ empfindet.
Was für die einen ein notwendiger Gegenpol zur „liberalen Meinungshoheit“ ist, wirkt auf andere wie ein Rückfall in die Ära der Propagandaschleudern. Eine Enzyklopädie, die sich vor allem durch das eine definiert: eine klare politische Schlagseite.
Ein Machtspiel um Information
Doch warum das Ganze? Warum investiert Elon Musk ausgerechnet in eine Enzyklopädie, wenn er bereits mit Raumfahrt, Elektromobilität und KI an den Grenzen der menschlichen Technologie operiert?
Die Antwort ist simpel – und doch beunruhigend: Kontrolle über Information ist Macht. Wer die Deutungshoheit über Geschichte, Gesellschaft und Politik besitzt, beeinflusst Meinungen, Entscheidungen – vielleicht sogar Wahlen.
In einer Zeit, in der „Fake News“ und „Alternative Fakten“ Schlagworte unserer Informationskultur geworden sind, ist der Kampf um die Definition von Wahrheit zur zentralen Schlacht unserer digitalen Gegenwart geworden.
Und was bedeutet das für uns Nutzer:innen?
Die Existenz von Grokipedia ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Spaltung, insbesondere in den USA. Sie zeigt, wie tief das Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen reicht – selbst gegenüber einem Projekt wie Wikipedia, das sich als freiwilliges, transparentes Wissenskollektiv versteht.
Und sie wirft eine unbequeme Frage auf: Ist es überhaupt noch möglich, in einer polarisierten Welt eine gemeinsame Faktenbasis zu haben?
Wenn jedes Lager seine eigene Enzyklopädie betreibt, seine eigene KI befragt und seine eigene Realität zementiert – was bleibt dann vom gemeinsamen Diskurs?
Vielleicht ist genau das das perfideste an Grokipedia: Es liefert nicht nur Antworten, sondern auch ein Weltbild – vorgefertigt, algorithmisch gestützt und auf Knopfdruck reproduzierbar.
Wie sagt man so schön? Wissen ist Macht. Aber wer bestimmt, was Wissen ist?
Autor: Andreas M. Brucker
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