Tag & Nacht




Sie kommen leise, doch ihre Wirkung ist verheerend. Algen, genauer gesagt: ulvatische Grünalgen, legen sich jedes Jahr wie ein grünlich-schimmernder Teppich über die Strände der Bretagne. Was auf den ersten Blick harmlos oder gar idyllisch wirken mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ökologisches Pulverfass – und als existenzielle Bedrohung für eine der traditionsreichsten Branchen der Region: die Austernzucht.

Die sogenannten „marées vertes“ – grüne Fluten – sind längst kein rein ästhetisches Ärgernis mehr. Sie vergiften die Umwelt, gefährden die Gesundheit und machen den Austernbauern das Leben zur Hölle.

Ein blühendes Gift

Die Ursache? Überschüssige Nitrate, die vor allem aus der intensiven Landwirtschaft stammen. Regen spült die Düngemittel in Flüsse, von dort gelangen sie ins Meer – und liefern den Grünalgen eine üppige Nährstoffquelle. In den Sommermonaten explodiert ihr Wachstum regelrecht.

Doch das eigentliche Drama beginnt, wenn die Algen absterben.

Dann zersetzen sie sich am Strand und setzen dabei Schwefelwasserstoff frei – ein Gas, das in hoher Konzentration tödlich sein kann. 2016 kam ein Jogger in der Nähe des Flusses Gouessant ums Leben. Tiere verenden regelmäßig, wenn sie versehentlich in die stinkenden Algenteppiche geraten.

Die Austern leiden – und ihre Züchter gleich mit

In der Bucht von Morlaix etwa, einem Hotspot der französischen Austernproduktion, berichten die Züchter von einem beispiellosen Jahr. „Selbst in Bereichen, wo die Strömung die Algen sonst abtransportiert, hat sich in diesem Sommer alles gestaut“, klagt Marc Le Provost, Betriebsleiter bei Cadoret. Die Algenteppiche bedecken die Austernparzellen, rauben den Muscheln Sauerstoff, stören ihre Entwicklung – oder ersticken sie ganz.

Was tun die Züchter?

Mit schweren Metallharken – sogenannten Herses – versuchen sie, die Algen zu lockern und vom Boden zu lösen, damit sie abtreiben. Eine mühselige, teure Notmaßnahme, wie Austernzüchter Gireg Berder bestätigt: „Das ist ein enormer Mehraufwand. Und damit ein wirtschaftlicher Schaden für uns.“

Politik gegen grüne Flut – doch nicht überall

Frankreich hat das Problem erkannt – zumindest offiziell. Seit 2010 gibt es staatliche Pläne zur Eindämmung der Algen. Ziel ist es, die Nährstoffbelastung zu reduzieren, vor allem durch Anpassung der landwirtschaftlichen Praktiken.

Doch die Resultate sind durchwachsen.

Viele Regionen, darunter auch die Bucht von Morlaix, sind von den Maßnahmen gar nicht erst erfasst worden. Eine vertane Chance – und ein Signal an die Betroffenen, dass ihre Sorgen politisch nicht wirklich ernst genommen werden. 2021 kritisierte selbst der französische Rechnungshof, dass die bisherigen Pläne nicht ausreichen und an den wahren Ursachen vorbeizielen.

Schweigen aus Angst

Ein weiteres Problem: die kollektive Sprachlosigkeit. In Hillion, einem der am stärksten betroffenen Orte, ist das Thema ein Tabu. Die Angst vor wirtschaftlichem Schaden – vor allem im Tourismus – lähmt viele. Wer offen über die toxischen Algen spricht, riskiert Ausgrenzung oder berufliche Nachteile.

Die Journalistin Inès Léraud hat dieses Schweigen dokumentiert. Ihr Film „Les Algues vertes“ zeigt, wie schwierig es ist, gegen Interessen und Ignoranz anzuschreiben – selbst, wenn Menschenleben und ganze Wirtschaftszweige auf dem Spiel stehen.

Ein Modell am Abgrund?

Die große Frage, die über allem schwebt: Muss sich das landwirtschaftliche Modell der Bretagne grundlegend ändern? Die Fakten sprechen dafür. Weniger industrielle Viehzucht, mehr Fruchtwechsel, gezielte Förderung nachhaltiger Betriebe – das wäre ein Anfang.

Denn es geht um mehr als Austern.

Es geht um das fragile Gleichgewicht einer Region, die vom Meer lebt, von ihren Böden, von ihrer Natur – und von ihrer Fähigkeit, beides zu schützen.

Die Austernzüchter stehen längst nicht mehr nur knietief im Wasser. Sie kämpfen gegen einen grünen Tsunami, der alles zu überrollen droht, was ihnen lieb und teuer ist. Und dieser Kampf betrifft uns alle.

Denn die Bretagne ist nicht nur ein Ort – sie ist ein Symbol.

Für das, was passiert, wenn ökonomische Kurzsichtigkeit und politische Halbherzigkeit auf eine zunehmend gestresste Umwelt treffen.

Von C. Hatty

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