Tag & Nacht






Es gibt sie, diese ewigen Streitigkeiten zwischen Nachbarn – zu laute Musik, der überhängende Kirschbaum oder die berühmte Hecke, die auf mysteriöse Weise jedes Jahr größer wird. Doch auf der idyllischen Insel Oléron geht es jetzt um etwas ganz anderes: um Hühner. Genauer gesagt um den angeblich unerträglichen Lärm eines bescheidenen Hühnerstalls.

Wenn Nachbarschaftsidylle zum Federkrieg wird

Anne-Marie Chemin, 71 Jahre alt und seit ihrer Geburt auf der Insel verwurzelt, dachte, sie hätte mit ihren Hühnern ein ganz normales Landleben. Doch dann kam der Schock: Im Juni 2023 marschierte ihr Nachbar in den Garten und forderte, dass sie innerhalb von drei Wochen ihren Hühnerstall beseitigt. Der Grund? Kikeriki? Nein – das Gackern sei zu laut!

Bis dahin hatte Anne-Marie nie Ärger gehabt. Seit 1991 wohnen die besagten Nachbarn auf der anderen Straßenseite, und alles lief friedlich. Doch plötzlich ist es vorbei mit der ländlichen Harmonie – und der Streit landete vor Gericht.

„Das ist doch verrückt! Ich bin hier geboren, hier gibt es seit vier Generationen Hühner!“, sagt Anne-Marie fassungslos.

Doch ihr Nachbar lässt sich nicht erweichen. Die Hühner? Eine Lärmbelästigung. Eine Mediation? Gescheitert. Jetzt muss ein Richter entscheiden, ob das Gackern einer Handvoll Hennen wirklich so störend ist, dass sie ihren Stall räumen muss.

Déjà-vu mit Coq Maurice

Klingt bekannt? Kein Wunder! Die Geschichte erinnert stark an den berühmten Fall des Hahns Maurice, der 2017 für weltweite Schlagzeilen sorgte. Auch damals klagte ein Nachbar – über das morgendliche Krähen des Vogels. Nach einem langwierigen Gerichtsprozess gewann Maurices Besitzerin Corinne Fesseau den Kampf für das „Recht auf Lärm auf dem Land“.

Heute ist sie mit Anne-Marie befreundet und unterstützt sie tatkräftig. „Wenn Maurice gewonnen hat, dann müssen doch auch die Hühner von Anne-Marie bleiben dürfen!“, sagt sie und startete sogar eine Petition, die bereits über 31.000 Unterschriften gesammelt hat.

Das Gesetz ist da – aber wo bleibt die Umsetzung?

Eigentlich sollte der Fall längst geklärt sein. 2021 verabschiedete das französische Parlament das „Gesetz zum sensorischen Erbe“, das typische Geräusche und Gerüche des Landlebens schützt – also genau solche Fälle verhindern soll.

Doch wie so oft bei Gesetzen: Sie existieren auf dem Papier, aber in der Praxis passiert wenig. „Es gibt so viele bürokratische Hürden, dass die Umsetzung einfach nicht vorankommt“, erklärt Anne-Maries Anwalt Julien Papineau. „Und weil die Regelung nicht angewendet wird, landen wir wieder bei klassischen Nachbarschaftsstreitigkeiten vor Gericht.“

Dabei stellt sich eine entscheidende Frage: Wie laut darf es auf dem Land sein? Ein Störenfried muss laut Gesetz dauerhaft, übermäßig und in einer unpassenden Umgebung Lärm verursachen. „Aber wir sind doch auf dem Land!“, betont Papineau. „Da ist es normal, dass Hühner gackern!“

Das letzte Wort hat das Gericht

Während Anne-Marie in ihrem Dorf viel Unterstützung erhält, bleibt ihr Nachbar standhaft. Er äußert sich zwar nicht öffentlich, beharrt aber darauf, dass der Lärm ihn belästigt.

Am 3. April wird der Fall vor dem Gericht in Rochefort verhandelt. Anne-Marie hofft, dass ihr Fall – wie damals der von Maurice – für gesunden Menschenverstand sorgt.

Die Frage bleibt: Wird das französische Landleben künftig nur noch mit geräuschlosen Hühnern und schweigsamen Kühen funktionieren? Oder darf es auf dem Land weiterhin nach Land klingen?

Von Catherine H.

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