Was selten geschieht, hat nun mit voller Wucht stattgefunden: Tausende Palästinenserinnen und Palästinenser haben sich in Gaza auf die Straße begeben – nicht gegen Israel, sondern gegen die eigene Regierung. In Beit Lahia, im Norden des Gazastreifens, ertönte lautstark: „Raus, raus, raus! Hamas raus!“
Die Wut ist spürbar, greifbar, ohrenbetäubend.
Mit selbstgebastelten Schildern in der Hand forderten sie das Ende des Krieges und die Freilassung israelischer Geiseln. Es war die größte anti-Hamas-Demonstration seit Beginn des Kriegs im Jahr 2023 – ein Aufschrei inmitten der Ruinen.
„Wie sollen wir standhaft bleiben, wenn wir verbluten?“
Ein Redner brachte die Stimmung auf den Punkt: „Hamas fordert Standhaftigkeit. Aber wie, wenn wir sterben und verbluten?“ Es war ein verzweifelter Hilferuf an die Welt – und eine scharfe Absage an die Herrschaft der Islamisten. Die Forderung war eindeutig: „Hamas muss aufhören mit dem, was in Gaza geschieht.“
Ein Bauarbeiter, Ahmed al-Masri, sagte es ganz schlicht: „Wir wollen weitermachen – bis das Blutvergießen endet und Hamas aus der palästinensischen Politik verschwindet.“ Es klang nicht nach einer kurzfristigen Wut, sondern nach einem tiefsitzenden Willen zur Veränderung.
Ein gebrochener Mann, ein klares Statement
Mohammed Diab, ebenfalls aus Beit Lahia, hat bei einem israelischen Luftangriff sein Zuhause und seinen Bruder verloren. Sein Schmerz ist groß – und dennoch richtet er seine Wut nicht nur gegen Israel. „Wir weigern uns, für die Agenda irgendjemandes zu sterben. Hamas muss aufhören und auf die Stimme der Trauernden hören.“
Einer der bewegendsten Momente: Ein Video zeigt einen Demonstranten, der mit bebender Stimme ruft: „Wir wollen keine Zerstörung, keinen Krieg – wir wollen leben.“ Eine ganz einfache, fast kindliche Bitte. Und gerade deshalb so erschütternd.
Kinder mit Schildern: „Wir weigern uns zu sterben“
Unter den Demonstrierenden: auch Kinder. Kleine Hände hielten große Worte – „Wir weigern uns zu sterben.“ Es sind diese Bilder, die sich in die Erinnerung brennen. Wenn selbst die Jüngsten nicht mehr schweigen, dann hat sich etwas verändert.
Gaza, Heimat von 2,1 Millionen Menschen, steht seit 2007 unter der Kontrolle von Hamas. Eine Organisation, die laut Berichten von Human Rights Watch schon in der Vergangenheit nicht zimperlich mit Kritik umging – Verhaftungen und Folter inklusive.
Krieg ohne Ende – über 50.000 Tote in Gaza
Der Ursprung der aktuellen Eskalation liegt im Oktober 2023. Hamas hatte Israel angegriffen, rund 1.200 Menschen getötet, über 200 entführt. Seitdem tobt ein brutaler Krieg. Die Zahlen aus dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium sind erschütternd: Über 50.000 Tote, mehr als 113.000 Verletzte, Tausende Vermisste. Und jeden Tag neue Schicksale.
Die Hoffnung auf einen dauerhaften Waffenstillstand war im Januar groß – doch sie zerplatzte in der vergangenen Woche. Israel nahm die Angriffe wieder auf, nachdem Vermittlungsangebote laut eigener Aussage immer wieder von Hamas abgelehnt worden waren. Hamas hingegen macht Israel für das Scheitern verantwortlich – und warf Premierminister Netanjahu vor, den Frieden bewusst torpediert zu haben.
Wer bestimmt das Schicksal dieser Stadt?
Montagabend, kurz vor Beginn der Proteste: Neue israelische Luftangriffe forderten mindestens 61 Tote, darunter zwei Journalisten. Die Trauer sitzt tief, doch die Demonstrierenden wollen nicht länger schweigen.
„Wir sind ein Volk des Friedens“, sagte ein Palästinenser am Dienstag. „Wir wollen Sicherheit für diese Stadt – nicht Stahl und Feuer. Wir entscheiden, wer hier das Sagen hat.“
Starke Worte. Und ein klares Signal.
Was folgt daraus?
Das politische Klima in Gaza könnte sich grundlegend ändern – wenn dieser Protest nicht im Keim erstickt wird. Es ist mutig, sich in einem Land mit repressiver Führung öffentlich gegen eben diese zu stellen. Noch mutiger ist es, wenn man das unter Bomben tut.
Vielleicht war das erst der Anfang.
Denn eine Frage bleibt: Wie lange lässt sich ein Volk im Krieg noch unterdrücken?
Von C. Hatty
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