Manchmal schenkt uns die Natur kleine Wunder – leise, kraftvoll und absolut beeindruckend. Mitten im Pazifik, fernab vom Trubel, in einem abgelegenen Atoll namens Tatakoto, trotzen Korallen widrigsten Bedingungen. Während rund um den Globus Korallenriffe unter dem wachsenden Druck des Klimawandels zusammenbrechen, gibt es hier Überlebenskünstler, die selbst extreme Temperaturen mit stoischer Ruhe wegstecken.
Diese Entdeckung rüttelt wach. Könnten diese „Superkorallen“ ein Schlüssel sein, um bedrohte Riffe weltweit zu retten?
Wo Hitze herrscht, blühen Korallen – Tatakoto und seine Champions
Tatakoto, ein entlegener Fleck im Südpazifik, liegt über 1000 Kilometer von Tahiti entfernt. Ein Ort, an dem man meinen könnte, das Leben habe es schwer. Der halb geschlossene Lagunenkessel sorgt dafür, dass das Wasser dort kaum zirkuliert. Temperaturen schwanken täglich um bis zu vier Grad – von angenehmen 31 bis glühend heißen 35 Grad Celsius. Für die meisten Korallen wäre das der sichere Tod.
Aber nicht für die Korallen von Tatakoto.
Dutzende Arten, darunter auch die hitzeempfindliche Gattung Acropora, gedeihen dort prächtig. Wie schaffen sie das? Ein Rätsel, das die Wissenschaft fasziniert. Die Vermutung: Diese Korallen haben sich angepasst – vielleicht über Generationen hinweg – und einzigartige Überlebensmechanismen entwickelt. Ein genetischer Schatz, der Hoffnung weckt für Riffe, die andernorts am Abgrund stehen.
Weltweit auf der Suche nach widerstandsfähigen Korallen
Doch Tatakoto ist kein Einzelfall. Auch in anderen Regionen der Welt stoßen Forscher auf Korallen, die scheinbar das Unmögliche möglich machen. In der Mangrove von Bouraké in Neukaledonien etwa, wo das Wasser sauerstoffarm und sauer ist, wachsen Korallen, die sich davon nicht beeindrucken lassen.
Und im Golf von Aqaba am Roten Meer überstehen Korallen Temperaturen bis zu 32 Grad – ohne zu erblassen.
Solche Funde inspirieren weltweit Initiativen zur Korallenrettung. Wissenschaftler tüfteln an Methoden, die Resilienz dieser Superkorallen gezielt für bedrohte Riffe zu nutzen. Einer der Ansätze: Korallen selektiv zu züchten, die besonders hitzeresistent sind.
Ein bisschen wie ein Gärtner, der die kräftigsten Pflanzen auswählt, um seinen Garten widerstandsfähiger zu machen.
Korallenfarmen als Rettungsanker
In der Praxis sieht das so aus: In der Südsee, etwa in Polynesien, entstehen Korallenfarmen, in denen diese „Superkorallen“ vermehrt werden. Durch asexuelle Vermehrung – eine Art Klonverfahren – werden belastbare Kolonien gezogen, die später ausgepflanzt werden, um beschädigte Riffe wiederzubeleben.
Auch in Australien und Europa läuft Forschung auf Hochtouren: In Laboren, etwa an der Universität Newcastle, experimentieren Wissenschaftler mit gezielter Züchtung. Innerhalb nur einer Korallengeneration konnte die Hitzetoleranz um etwa ein Grad Celsius gesteigert werden. Klingt wenig? Für Korallen ist das überlebenswichtig.
Denn oft ist es eben dieses eine Grad, das über Leben oder Tod entscheidet.
Ein Tropfen auf den heißen Stein?
Doch die große Frage bleibt: Reicht das aus?
Die Realität sieht düster aus. In den letzten Jahren hat die Welt immer wieder Zeuge von Massenausbleichungen großer Korallenriffe werden müssen. Die Große Barriere vor Australien – einst ein schillerndes Naturwunder – hat massive Verluste erlitten. In manchen Regionen sind bis zu 72 Prozent der Korallen verschwunden. Hitze, Verschmutzung, Versauerung – der Cocktail ist toxisch.
Da mag der Gedanke an Superkorallen wie ein Hoffnungsschimmer wirken. Aber mal ehrlich – können ein paar zähe Korallenarten wirklich das Ruder herumreißen?
Wohl kaum allein.
Die Rettung der Riffe hängt auch an anderen Fäden: Ohne globale Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen bleibt selbst der widerstandsfähigste Organismus am Ende chancenlos. Klimaschutz, Meeresreservate, saubere Ozeane – das große Ganze zählt.
Was bleibt?
Trotz aller Herausforderungen – die Entdeckung dieser robusten Korallen ist ein Geschenk. Ein Zeichen dafür, dass Leben auch unter widrigsten Umständen Wege findet. Vielleicht inspirieren sie uns, es ihnen gleichzutun: Widerstand leisten, anpassen, nicht aufgeben.
Die Superkorallen sind ein Werkzeug im Arsenal gegen das große Korallensterben. Sie zeigen uns, dass Hoffnung unter Wasser weiterlebt. Doch sie erinnern uns auch daran: Ohne grundlegende Veränderungen – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich – bleibt es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Oder besser: ein Polyp im brodelnden Ozean.
Autor: Andreas M. Brucker
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