Die Nacht, in der der Himmel über Hongkong rot glühte, wird in die Geschichte eingehen – als Synonym für einen der tragischsten Momente, den die Metropole je erlebt hat.
Ein Wohnkomplex, der einst Alltag und Zuhause bedeutete, ist nun Symbol eines kollektiven Schmerzes: 128 Menschen verloren ihr Leben, als in der Nacht zum Mittwoch im „Wang Fuk Court“ ein Feuer ausbrach, das sich rasend schnell über acht Wohnblöcke fraß. 79 Verletzte, und immer noch über 200 Vermisste, ein Alarmsystem, das versagte – und ein Sicherheitsapparat, der nun schwer unter Druck steht.
Noch qualmen Trümmer.
Doch die Flammen sind gelöscht.
Um 10:18 Uhr Ortszeit, zwei Tage nach Ausbruch des Feuers, meldeten die Behörden das Ende der Löscharbeiten. Was bleibt, ist das grauschwarze Skelett eines ehemals belebten Quartiers und die erschütternde Frage: Wie konnte das passieren?
Chris Tang, Hongkongs Sicherheitschef, trat am Freitagmorgen vor die Presse. Ruhig, aber sichtlich gezeichnet. Der neue Stand: 128 Todesopfer – 89 davon bisher nicht identifiziert. Die Zahl der Vermissten: rund 200, wobei auch viele der Toten darunter gezählt werden, deren Identität noch unklar ist. Das Ausmaß des Feuers: beispiellos. Nicht seit dem Jahr 1948, als bei einem Brand in einem Flüchtlingslager über 200 Menschen starben, hat die Stadt eine solche Katastrophe erlebt.
Und wieder stellt sich eine uralte Frage: Wer trägt die Verantwortung?
Die Antwort scheint sich langsam abzuzeichnen – und sie führt mitten ins Herz der technischen Infrastruktur. In allen acht Gebäuden des „Wang Fuk Court“ war das Alarmsystem defekt. Kein schriller Ton, kein Warnsignal, kein Weckruf in der Nacht. „Wir haben festgestellt, dass die Systeme in keinem der betroffenen Wohnblöcke ordnungsgemäß funktionierten“, erklärte Feuerwehrchef Andy Yeung. Eine Spezialtruppe hatte die Anlagen untersucht, nachdem Überlebende übereinstimmend berichtet hatten, dass keine einzige Sirene erklang.
Die Bewohnerinnen und Bewohner waren auf sich allein gestellt. Manche wachten auf durch den Rauch, andere durch das Schreien ihrer Nachbarn – viele jedoch schlicht zu spät. Von Panik ist die Rede, von Menschen, die aus Fenstern sprangen, von Treppenhäusern, die in wenigen Minuten zu tödlichen Fallen wurden. Ein Augenzeuge sagte, er habe „nur ein dunkles, heilloses Chaos“ erlebt. „Überall Schreie. Aber keine Hilfe.“
Wang Fuk Court, ein Wohnkomplex für Familien mit mittlerem Einkommen, steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die nicht nur in Hongkong zu beobachten ist. Verdichtung, Rationalisierung, technischer Fortschritt – und gleichzeitig veraltete Systeme, mangelnde Instandhaltung und ein wachsender Druck auf die kommunale Verwaltung. Die Gebäude wurden in den frühen 1990er Jahren errichtet, moderne Standards galten damals noch nicht. Und wie so oft wurde das Nachrüsten aus Kostengründen verschoben.
Jetzt kostet es Leben.
Die Ermittlungen zur Brandursache laufen. Chris Tang spricht von einem Zeitrahmen von drei bis vier Wochen, bis belastbare Ergebnisse vorliegen. Bis dahin sind es die Überlebenden, die die Lücken der Informationen füllen – mit Erinnerungen, mit Tränen, mit Schuldgefühlen. Einige sagen, sie hätten schon lange auf Sicherheitsmängel hingewiesen. Andere, dass man sie nicht ernst genommen habe.
Hongkongs Regierung hat Soforthilfen zugesichert. Die Unterbringung der Evakuierten läuft, psychologische Betreuung ist angelaufen. Doch was sie wirklich brauchen, ist Zeit. Zeit, zu trauern. Zeit, Antworten zu erhalten. Zeit, sich auf eine Zukunft einzustellen, in der ihr Zuhause nicht mehr existiert.
Das Bild, das sich Hongkongerinnen und Hongkongern derzeit bietet, ist eines, das schwer zu ertragen ist: verkohlte Wände, verschmorte Kinderfahrräder, in sich zusammengefallene Etagen. Die Luft riecht nach Asche und Angst. In einer Stadt, die für viele als glitzerndes Wirtschaftswunder gilt, ist nun ein dunkler Schatten gefallen.
Und mittendrin: eine Bevölkerung, die sich fragt, was man anders hätte tun sollen. Oder können.
Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Trauer und Wut, aus Erschöpfung und Erwartung, die nun den Ton der öffentlichen Debatte bestimmt. Es geht um Verantwortung – aber auch um Vertrauen. Vertrauen in ein System, das schützen soll, nicht versagen. Vertrauen in eine Stadt, die mehr sein will als nur eine Skyline.
Für viele beginnt nun der Wiederaufbau.
Für andere – das Verarbeiten.
Autor: C.H.
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