Die politische Landschaft Israels steht vor einer Zerreißprobe. Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hat angekündigt, dass seine Partei Otzma Yehudit die Regierungskoalition verlassen werde, sollte Premierminister Benjamin Netanjahu einem geplanten Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas zustimmen. Der ultrarechte Politiker bezeichnete das Abkommen als „aufgegebenen Deal“ und warnt, dass es die Sicherheit des Landes aufs Spiel setze.
Das Abkommen im Fokus
Das in Katar ausgehandelte Abkommen sieht eine 42-tägige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas vor. Neben der vorübergehenden Einstellung der Kämpfe beinhaltet es den Austausch von Gefangenen: 33 israelische Geiseln, darunter auch Kinder, sollen gegen mehrere hundert palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Das Ziel des Deals ist es, die Lage in der von Gewalt geprägten Region kurzfristig zu entspannen und eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden.
Für Ben-Gvir ist dieses Abkommen jedoch inakzeptabel. Er kritisiert vor allem die Freilassung palästinensischer Gefangener, die in Israel als Sicherheitsrisiko gelten. Seiner Ansicht nach würde ein solcher Schritt die Errungenschaften der israelischen Militäroperationen zunichtemachen und der Hamas neue Mittel in die Hände spielen, um ihren Einfluss auszubauen.
Ein tiefer Riss in der Koalition
Die Drohung von Ben-Gvir stellt eine erhebliche Belastung für die Koalition dar, die ohnehin als fragil gilt. Seine Partei, die über sieben Sitze in der Knesset verfügt, spielt eine entscheidende Rolle für die Mehrheit der Regierung. Sollte Otzma Yehudit aus der Koalition austreten, könnte die Stabilität der Regierung ins Wanken geraten. Zwar hat Ben-Gvir betont, dass er nicht die gesamte Regierung stürzen wolle, doch seine Forderung zeigt, wie tief die ideologischen Gräben innerhalb der Koalition sind.
Finanzminister Bezalel Smotrich, ebenfalls ein prominenter Vertreter der ultrarechten Szene, sprach sich ebenfalls gegen das Abkommen aus. Er bezeichnete es als „gefährlich“ und forderte Netanjahu auf, die Interessen der nationalen Sicherheit über internationale Verhandlungsziele zu stellen.
Reaktionen aus der Opposition
Während die Regierung unter Druck steht, signalisierte die Opposition um Yair Lapid ihre Bereitschaft, Netanjahu bei der Umsetzung des Abkommens zu unterstützen. Lapid betonte, dass die Rettung der Geiseln oberste Priorität haben müsse – unabhängig von politischen Differenzen. „Es gibt Momente, in denen persönliche Ansichten zurückstehen müssen, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen“, sagte er in einer Pressekonferenz.
Diese Unterstützung könnte Netanjahu helfen, das Abkommen durchzusetzen, selbst wenn Teile seiner Koalition dagegen stimmen. Dennoch bleibt unklar, ob die Regierung langfristig von innen heraus destabilisiert wird.
Die Familien der Geiseln: Hoffnung und Verzweiflung
Parallel zu den politischen Verhandlungen äußern sich die Familien der Geiseln zunehmend besorgt. Viele von ihnen befürchten, dass das Abkommen ihre Liebsten nicht ausreichend schützt. Besonders in Fällen, in denen die Hamas keine genauen Angaben zu den Entführten macht, wächst die Unsicherheit. Bei einer Protestkundgebung in Tel Aviv forderten die Angehörigen am Mittwoch Transparenz von der Regierung und ein klares Versprechen, dass keine Geisel zurückgelassen wird.
Ein Sprecher der Familien sagte: „Wir wollen unsere Kinder zurück, aber nicht um den Preis, dass Terroristen wieder auf freien Fuß gesetzt werden.“ Diese Bedenken spiegeln das Dilemma wider, mit dem die israelische Regierung konfrontiert ist: Sicherheit und moralische Verpflichtung stehen hier in direktem Konflikt.
Internationale Vermittlung und Dynamik
Das Abkommen wurde unter anderem durch die Vermittlung von Katar, Ägypten und den Vereinigten Staaten ermöglicht. Die USA sehen in der Waffenruhe eine Chance, die humanitäre Situation in Gaza zu entspannen. Außenminister Antony Blinken betonte, dass die Waffenruhe ein erster Schritt sein könnte, um langfristige Verhandlungen zu erleichtern.
Doch die Skepsis bleibt. Beobachter warnen, dass Waffenruhen in der Vergangenheit oft nur temporäre Effekte hatten. Zudem könnte ein gescheiterter Deal die Spannungen zwischen Israel und der Hamas weiter verschärfen.
Ein schwieriger Ausblick
Die nächsten Tage werden entscheidend sein – sowohl für die geopolitische Lage im Nahen Osten als auch für die Stabilität der israelischen Regierung. Kann Netanjahu die zerstrittenen Fraktionen seiner Koalition zusammenhalten und gleichzeitig das umstrittene Abkommen durchsetzen? Oder wird die Drohung von Ben-Gvir einen Dominoeffekt auslösen und die Regierung ins Chaos stürzen?
Eines steht fest: Die Entscheidung über das Abkommen wird weitreichende Konsequenzen haben – für die israelische Politik, die Beziehungen zu den Palästinensern und die Zukunft der gesamten Region.
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