Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hat den Plan zur Einnahme von Gaza-Stadt offiziell gebilligt und die Mobilisierung von zehntausenden Reservisten angeordnet. Damit bereitet die Regierung von Benjamin Netanjahu die nächste Phase des seit Monaten andauernden Krieges im Gazastreifen vor – mit weitreichenden politischen und humanitären Konsequenzen.
Eine neue Eskalationsstufe
Mit der Genehmigung der Operation will die israelische Führung die vollständige Kontrolle über den dicht besiedelten Norden des Gazastreifens erlangen. Gaza-Stadt gilt als symbolisches und operatives Herzstück der palästinensischen Enklave, Sitz zahlreicher Kommandostrukturen der Hamas und Ausgangspunkt der Angriffe vom Oktober des Vorjahres. Schon früh in der Offensive hatte die Armee Teile der Stadt eingekesselt, ein nachhaltiger Durchbruch blieb jedoch aus. Nun soll eine kombinierte Boden- und Luftoperation die verbliebenen Verteidigungsstellungen der Hamas ausschalten.
Für den Einsatz wurden 50.000 bis 60.000 Reservisten einberufen. Damit wächst die israelische Truppenstärke auf eine Dimension, die seit dem Libanonkrieg 2006 nicht mehr erreicht wurde. Die Verstärkung ist nicht nur militärisch begründet, sondern auch politisch: Netanjahu will Entschlossenheit demonstrieren, nachdem ihm zuletzt innenpolitische Schwäche vorgeworfen wurde.
Humanitäre Dimension
Parallel zur Genehmigung der Offensive kündigte das Verteidigungsministerium an, humanitäre Korridore und Evakuierungszonen vorzubereiten. Offiziell sollen so hunderttausende Zivilisten aus den betroffenen Stadtteilen in sichere Gebiete gebracht werden. Doch Hilfsorganisationen äußern Zweifel, ob eine geordnete Evakuierung in der Praxis überhaupt möglich ist. Seit Monaten ist der Zugang zu Hilfsgütern massiv eingeschränkt, elementare Versorgungsgüter wie Zelte oder Medikamente gelangen nur in geringen Mengen in den Gazastreifen.
Die Vereinten Nationen warnen vor einer „katastrophalen Lage“: Über 700.000 Menschen seien bereits mehrfach vertrieben worden, viele leben unter freiem Himmel oder in notdürftigen Unterkünften. Mit einer weiteren Großoffensive droht sich die humanitäre Notlage dramatisch zu verschärfen.
Wachsende Skepsis in Israel
Während die politische Führung den Kriegskurs verschärft, zeigen sich in großen Teilen der israelischen Gesellschaft Risse. Unter den Reservisten wächst die Unzufriedenheit: Umfragen zufolge beklagt mehr als ein Drittel sinkende Motivation und Zweifel am strategischen Ziel. Familien von Soldaten und Geiseln protestieren regelmäßig in Tel Aviv gegen die Regierung und fordern eine politische Lösung statt einer militärischen Eskalation.
Auch innerhalb der militärischen Führung sind Vorbehalte zu hören. Generalstabschef Eyal Zamir hatte wiederholt auf die Risiken für die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln hingewiesen. Zudem befürchten Teile des Sicherheitsestablishments eine militärische Überdehnung sowie den Verlust internationaler Unterstützung.
Internationale Spannungen
Die geplante Einnahme von Gaza-Stadt stößt international auf scharfe Kritik. Der UN-Generalsekretär warnt vor unabsehbaren Folgen für die Zivilbevölkerung. Mehrere europäische Staaten prüfen, den Druck auf Israel zu erhöhen – bis hin zur Anerkennung eines palästinensischen Staates, sollte sich die militärische Eskalation fortsetzen.
Besonders angespannt ist das Verhältnis zwischen Israel und Frankreich. Ein Schreiben Netanjahus an Präsident Emmanuel Macron, in dem er diesem vorwarf, mit der Diskussion über eine Anerkennung Palästinas „Antisemitismus zu fördern“, führte zu diplomatischen Verstimmungen. Paris wies die Vorwürfe entschieden zurück und bekräftigte seine Linie, eine Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen.
Ein riskanter Kurs
Die Offensive auf Gaza-Stadt steht in Kontinuität mit den bisherigen Operationen, die zwar große Teile des Gazastreifens unter israelische Kontrolle brachten, aber zentrale Ziele wie die vollständige Zerschlagung der Hamas und die Befreiung aller Geiseln bislang verfehlten. Kritiker sehen in der neuen Eskalation daher vor allem ein politisches Manöver Netanjahus, um innenpolitischen Druck abzubauen und seine angeschlagene Position zu festigen.
Ob die militärische Operation die erhoffte Stabilität bringt oder Israel in ein langfristiges Besatzungsszenario zwingt, bleibt ungewiss. Sicher ist lediglich, dass die kommenden Wochen entscheidend sein werden – sowohl für die Menschen in Gaza als auch für die politische Zukunft Israels.
Autor: Andreas M. Brucker
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