Chrystia Freeland, ehemalige Finanzministerin Kanadas und aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge von Premierminister Justin Trudeau, hat eine klare Strategie zur Abwehr der wirtschaftlichen Drohungen von Ex-US-Präsident Donald Trump präsentiert. Sie fordert ein entschlossenes Vorgehen gegen die geplanten Strafzölle auf kanadische Waren und schlägt präzise und gezielte Gegenmaßnahmen vor. Die Situation verdeutlicht nicht nur die Herausforderungen in den kanadisch-amerikanischen Beziehungen, sondern auch die innenpolitische Dynamik, die die Nachfolge Trudeaus prägen wird.
Freeland: Retaliation mit Strategie
Freeland schlug vor, eine sogenannte „Retaliation List“ zu veröffentlichen, die konkrete US-Wirtschaftszweige ins Visier nimmt, sollten die von Trump angedrohten 25-Prozent-Zölle auf kanadische Exporte Realität werden. Ziel sei es, amerikanische Exporteure zu sensibilisieren und wirtschaftlichen Druck auszuüben. „Unsere Antwort muss dollar-for-dollar ausfallen – präzise und schmerzhaft,“ erklärte Freeland. Zu den ins Auge gefassten Zielbranchen gehören Orangenproduzenten aus Florida, Milchbauern aus Wisconsin und Haushaltsgerätehersteller aus Michigan.
Mit dieser Strategie positioniert sich Freeland als entschlossene Verteidigerin kanadischer Interessen. Ihre Forderung unterstreicht die Bedeutung der Handelsbeziehungen zwischen Kanada und den USA: Täglich werden Waren und Dienstleistungen im Wert von umgerechnet 2,7 Milliarden US-Dollar über die Grenze gehandelt. Kanada ist zudem der wichtigste Exportmarkt für 36 US-Bundesstaaten, was den potenziellen Einfluss einer solchen Strategie verstärkt.
Die Risiken eines Eskalationskurses
Freelands Strategie stieß jedoch nicht überall auf Zustimmung. John Ries, Ökonom an der Sauder School of Business der Universität British Columbia, warnte davor, eine solche Liste im Vorfeld zu veröffentlichen. Dies könne Trump provozieren und ihm die Möglichkeit nehmen, seine Drohungen ohne Gesichtsverlust zurückzunehmen. „Trump will immer gewinnen und keine Schwäche zeigen,“ betonte Ries. Eine stille Diplomatie, ergänzt durch gezielte Maßnahmen im Ernstfall, könnte daher effektiver sein.
Auch die angespannte innenpolitische Lage in den USA könnte das Risiko einer Eskalation erhöhen. Trumps Handelsdrohungen basieren häufig auf einer verzerrten Wahrnehmung der Handelsbeziehungen. So stellt er das US-Handelsdefizit mit Kanada fälschlicherweise als staatliche Subvention dar, obwohl Kanada überwiegend Rohstoffe wie Öl in die USA exportiert.
Weitere Maßnahmen gegen wirtschaftlichen Druck
Neben der „Retaliation List“ plant Freeland weitere Maßnahmen, um Kanadas Interessen zu schützen. Sie kündigte an, amerikanische Unternehmen – mit Ausnahme der Verteidigungsindustrie – von öffentlichen Ausschreibungen auf Bundesebene auszuschließen. Gleichzeitig strebt sie eine internationale Allianz an, um wirtschaftliche Souveränität und multilaterale Handelsbeziehungen zu stärken. Zu den vorgeschlagenen Partnern gehören Mexiko, Dänemark, Panama und die Europäische Union.
Die mögliche Einschränkung von Energieexporten, die einige kanadische Politiker ins Gespräch gebracht haben, bleibt jedoch umstritten. Während Mark Carney, ebenfalls Kandidat für den Vorsitz der Liberalen Partei, vorschlug, Exporte von Hydroenergie aus Québec in die USA als Druckmittel zu nutzen, lehnt Daniele Smith as Alberta ähnliche Überlegungen für Öl- und Gaslieferungen ab. Eine solche Maßnahme könnte die ohnehin angespannte Energieversorgung in Nordamerika weiter belasten und Kanadas Ruf als verlässlicher Handelspartner gefährden.
Innenpolitische Implikationen: Der Kampf um die Liberale Partei
Freelands entschiedene Haltung fällt in eine Phase des politischen Umbruchs. Ihre überraschende Rücktrittserklärung als Finanzministerin im vergangenen Monat löste eine Kettenreaktion aus, die letztlich Justin Trudeau dazu zwang, seinen Rücktritt als Premierminister und Parteivorsitzender anzukündigen. Trudeau wird bis zur Wahl eines neuen Parteiführers am 9. März im Amt bleiben.
Der oder die neue Parteivorsitzende steht vor einer herausfordernden Aufgabe: Die Liberale Partei regiert in einer Minderheitsregierung, und alle drei Oppositionsparteien haben bereits angekündigt, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung einzubringen, sobald das Parlament am 24. März wieder zusammentritt. Eine Neuwahl im Frühjahr scheint daher unvermeidlich.
Eine Strategie für Kanadas Souveränität
Freelands Pläne sind nicht nur ein politisches Signal nach innen, sondern auch nach außen. Sie positioniert sich als entschiedene Verfechterin kanadischer Souveränität in einer zunehmend unsicheren Welt. Ihre Strategie basiert auf der Kombination von wirtschaftlicher Vergeltung, internationaler Zusammenarbeit und innenpolitischer Geschlossenheit.
Ob sie jedoch in der Lage sein wird, diese Pläne umzusetzen, hängt von ihrem Erfolg im Rennen um die Parteiführung und einer möglichen Neuwahl ab. Klar ist jedoch, dass Kanada in einer kritischen Phase seiner politischen Geschichte steht, in der wirtschaftliche und geopolitische Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um die Weichen für die Zukunft des Landes zu stellen.
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