Tag & Nacht




Millionen Menschen demonstrieren seit dem Sommer 2025 in den Vereinigten Staaten unter dem Slogan No Kings. Die Bewegung richtet sich gegen die als autoritär wahrgenommene Regierungsweise Donald Trumps – und rückt ein zentrales Prinzip der amerikanischen Demokratie in den Fokus: Macht soll nicht personalisiert werden.


Der republikanische Präsident als Reizfigur einer zivilgesellschaftlichen Welle

Die Vereinigten Staaten erleben derzeit eine Massenmobilisierung, die in Form, Umfang und inhaltlicher Ausrichtung bemerkenswert ist. Initiiert wurde sie rund um den 14. Juni – dem Jahrestag der Gründung der US Army und gleichzeitig Donald Trumps Geburtstag. An diesem Tag marschierten in über 2’000 Städten Menschen auf die Straße, viele davon unter dem Banner von „No Kings“. Der Ausdruck verweist auf eine republikanische Tradition: Die amerikanische Staatsform kennt kein gekröntes Haupt, keine Dynastie, keine Unfehlbarkeit.

Getragen wird die Bewegung von einem breiten zivilgesellschaftlichen Spektrum: Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Studierende, kirchliche Gruppen und Angehörige migrantischer Communities. Ihre gemeinsame Sorge: Die politische Kultur Amerikas könne durch exekutive Machtdemonstration, durch nationalistische Rhetorik und durch die gezielte Untergrabung von Institutionen Schaden nehmen.

Nur vier Monate nach dem Auftakt kam es zu einem zweiten, noch größeren Aktionstag. Etwa 7 Millionen Menschen beteiligten sich – mit einer Symbolik, die historisch wie gegenwärtig aufgeladen war. Transparente mit Verfassungsauszügen, ironische Anspielungen auf Monarchen, aber auch klar formulierte Forderungen prägten das Bild: Schutz der Pressefreiheit, Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren, Rücknahme von Massenabschiebungen und der Einsatz für eine Gewaltenteilung, die ihren Namen verdient.


Stil statt Programm: Der eigentliche Kern der Kritik

Bemerkenswert an „No Kings“ ist nicht nur die Masse, sondern die Botschaft. Die Proteste richten sich nicht allein gegen eine konkrete Politik, sondern gegen einen Regierungsstil. Es geht um die Wahrnehmung, dass das republikanische Prinzip der Begrenzung und Kontrolle von Macht aufgeweicht wird. Die Militarisierung des öffentlichen Raums, der Einsatz von Bundeskräften gegen lokale Demonstrationen, die demonstrative Inszenierung staatlicher Stärke – all das erscheint den Protestierenden als Ausdruck einer autoritären Versuchung.

Der Begriff „No Kings“ ist in diesem Sinne bewusst historisch gewählt. Er erinnert an die Gründungszeit der Vereinigten Staaten, als man sich bewusst gegen die britische Krone und für ein republikanisches Regierungssystem entschied. Dass sich nun wieder Millionen auf dieses Prinzip berufen, offenbart ein tiefsitzendes Unbehagen: Nicht nur über politische Inhalte, sondern über die Art, wie Politik gemacht wird.

Die Reaktion Donald Trumps fiel ambivalent aus. Öffentlich erklärte er, „natürlich kein König“ zu sein – doch gleichzeitig verteidigte er jene Formen der Machtausübung, die den Kern der Kritik ausmachen. Damit bestätigte er, wenn auch unfreiwillig, das Spannungsverhältnis zwischen republikanischer Verfassungsordnung und persönlicher Herrschaftsinszenierung.


Die USA als Labor der Protestkultur – Lehren für Europa?

Für europäische Beobachter, insbesondere für ein an Frankreich interessiertes Publikum, sind die Proteste doppelt interessant. Zum einen, weil sie auf eine Frage zielen, die auch auf dem Alten Kontinent zunehmend gestellt wird: Wie viel Exekutivmacht verträgt die Demokratie? In Frankreich ist diese Debatte keineswegs neu – sie prägt etwa die Diskussion um die Rolle des Präsidenten in der Fünften Republik oder um die Exekutivverordnungen in der Innenpolitik. Auch dort stehen Fragen nach der Balance der Gewalten, nach dem Verhältnis von Institutionenvertrauen und Führungsstärke im Raum.

Zum anderen geben die „No Kings“-Proteste einen Einblick in die gegenwärtige amerikanische Protestkultur. Anders als etwa die Gelb-Westen in Frankreich oder klassische Arbeitskämpfe zeigen sich hier neue Organisationsmuster: dezentral, multitematisch, weitgehend friedlich, aber mit hoher Mobilisierungsenergie. Dass sich Gewerkschaften, progressive NGOs und kulturelle Initiativen auf ein gemeinsames Narrativ einigen konnten, ist Ausdruck eines strategischen Lernprozesses der amerikanischen Linken – und zugleich ein Hinweis auf eine neue Koalitionsfähigkeit.

Für die französische Öffentlichkeit – und europäische Demokratien allgemein – ergibt sich daraus eine interessante Parallele: Die Formen der Machtausübung werden zunehmend zum Politikum. Nicht nur, was entschieden wird, steht zur Debatte, sondern wie. Die politische Ästhetik, die Symbolsprache von Regierungshandeln, rückt ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit.


Dass die Vereinigten Staaten nun eine Bewegung erleben, die sich mit solchem Nachdruck auf die republikanische Idee beruft, ist bemerkenswert. Noch ist unklar, ob aus dem Massenprotest auch institutionelle Veränderungen hervorgehen werden – etwa in Form gesetzlicher Begrenzungen exekutiver Vollmachten oder einer neuen Mobilisierung bei den Vorwahlen. Klar ist aber: Die Vorstellung, dass niemand in einer Demokratie über den Institutionen steht, findet derzeit Millionenfachen Widerhall. Die amerikanische Verfassung kennt keine Könige – und die amerikanische Zivilgesellschaft scheint entschlossen, das auch in Zukunft so zu halten.

Autor: P. Tiko

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