Tag & Nacht




Wer hätte gedacht, dass eine beschauliche Atlantikinsel mit knapp 22.000 Einwohnern einem globalen Digitalkonzern wie Airbnb die Stirn bieten würde – und gewinnt?

Doch genau das ist jetzt geschehen.

Am 8. April 2025 fällte das Berufungsgericht in Poitiers ein Urteil, das in Frankreich und darüber hinaus für Aufsehen sorgt: Airbnb muss über 8,6 Millionen Euro an die Communauté de communes de l’île d’Oléron zahlen – wegen schwerwiegender Verstöße bei der Erhebung der Kurtaxe in den Jahren 2021 und 2022.

Von Peanuts zur Millionenstrafe

Die Geschichte begann vermeintlich harmlos. Bereits 2023 und 2024 hatte man Airbnb in erster Instanz zu relativ moderaten Strafen verurteilt: 30.000 Euro für 2021, 1,3 Millionen Euro für 2022. Doch das reichte den Richtern der Berufungskammer nicht. Sie verdoppelten und verdreifachten die Summen auf 5,1 Millionen Euro und 3,5 Millionen Euro – ein klares Zeichen: Mit der Gesetzestreue ist nicht zu spaßen.

Die Strafen wurden penibel berechnet – basierend auf 5.066 nicht gemeldeten Übernachtungen im Jahr 2021 und 2.344 im Folgejahr. Für jede einzelne wurden Beträge zwischen 750 und 2.500 Euro angesetzt. Ein Bußgeldkatalog, der es in sich hat.

Warum so streng?

Der Grund ist simpel – und nachvollziehbar. Für die Insel Oléron, die Jahr für Jahr tausende Urlauber anzieht, ist die Kurtaxe mehr als nur ein lästiger Posten in der Buchhaltung. Sie finanziert Müllabfuhr, Verkehrsinfrastruktur, medizinische Notdienste – kurz: das, was in der Hochsaison für Touristen und Einheimische gleichermaßen lebenswichtig ist.

Die Berufungsrichter betonten genau das: Die Einnahmen aus der Kurtaxe sind ein wesentlicher Bestandteil des Gemeindebudgets. Verstöße dagegen stellen nicht nur einen Verwaltungsfehler dar – sie gefährden die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Lebens.

David gegen Goliath

Michel Parent, Präsident der Communauté de communes de l’île d’Oléron, sprach von einem „historischen Sieg“. Mit hörbarem Stolz erklärte er: „Eine kleine Atlantikinsel hat den amerikanischen Giganten des digitalen Tourismus in die Knie gezwungen.“ Eine Kampfansage – und eine Botschaft an andere Gemeinden, es Oléron gleichzutun.

Und tatsächlich: Das Urteil hat bereits Wellen geschlagen. Weitere Verfahren gegen Plattformen wie Booking.com und Le Bon Coin laufen. Oléron könnte zum Symbol werden – für Gerechtigkeit im digitalen Wilden Westen des Tourismus.

Airbnb bleibt auf Konfrontation

Das US-Unternehmen selbst reagierte – wenig überraschend – mit Ablehnung. Die Geldstrafen seien „unverhältnismäßig“, hieß es in einer Stellungnahme. Man nehme seine steuerlichen Pflichten sehr ernst, die Probleme auf Oléron seien umgehend nach deren Bekanntwerden gelöst worden. Alle ausstehenden Beträge seien bereits überwiesen worden – lange vor Beginn des Gerichtsverfahrens.

Doch das überzeugte die Richter offenbar nicht.

Was bedeutet das für andere Plattformen?

Die Entscheidung von Poitiers könnte tatsächlich Schule machen. Denn sie stellt klar: Digitale Plattformen, egal wie groß und global sie sind, müssen sich an lokale Gesetze halten. Die Ausrede, man habe nichts gewusst oder sich auf technische Komplexität berufen, verfängt nicht mehr.

Ein Weckruf?

Durchaus. Städte und Gemeinden in ganz Europa kämpfen mit ähnlichen Problemen. Kurzzeitvermietungen entziehen Wohnraum dem Markt, verändern das soziale Gefüge und verursachen immense Kosten – etwa für Infrastruktur und Reinigung. Viele Lokalpolitiker sehen sich machtlos gegenüber Konzernen mit Milliardenbudgets. Doch dieses Urteil zeigt: Der Rechtsstaat hat Zähne.

Ein Signal mit Strahlkraft

Oléron hat einen Präzedenzfall geschaffen – nicht nur juristisch, sondern auch moralisch. Es geht hier nicht nur ums Geld. Es geht um Respekt vor Regeln, um Fairness im Wettbewerb, um die Frage, wie Digitalisierung gestaltet wird. Soll sie wenigen Giganten dienen – oder dem Gemeinwohl?

Die Antwort aus Frankreich ist deutlich. Und sie beginnt mit dem Willen einer kleinen Insel, sich nicht alles gefallen zu lassen.

Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!