Tag & Nacht




Gesundheit und Klimawandel – zwei Themen, die sich längst nicht mehr trennen lassen. Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen: All das wirkt sich auf Körper und Psyche aus. Und doch zieht sich eine der weltweit führenden Forschungsinstitutionen nun zurück. Die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) stellen ihre finanzielle Unterstützung für Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels ein.

Was wie ein bürokratischer Verwaltungsakt klingt, ist ein politisches Beben. Denn wer die Forschung stoppt, stellt keine Fragen mehr. Und wer keine Fragen mehr stellt, findet auch keine Antworten.


Der radikale Schnitt

Seit Robert F. Kennedy Jr. das Gesundheitsministerium führt, weht in Washington ein anderer Wind. Das neue Credo: Forschung soll sich auf das „Unmittelbare“ konzentrieren – auf Krankheiten, die bereits existieren, auf Ursachen, die eindeutig messbar sind. Studien zu Klimafolgen, Geschlechteridentität oder Diversität? Von der Agenda gestrichen. Forscher*innen wurden angewiesen, entsprechende Begriffe aus ihren Anträgen zu tilgen, selbst wenn es sich um zentrale Bestandteile der Arbeit handelte.

Doch was bedeutet das für die Praxis?

Ganz einfach: Eine ganze Generation von Wissenschaftler*innen steht plötzlich ohne Zukunftsplan da. Projekte, an denen jahrelang gearbeitet wurde – eingefroren oder gestrichen. Daten, die gesammelt wurden – verstauben in digitalen Schubladen. Und die Fragen, die noch offen sind? Sie werden bleiben. Offene Wunden in der Forschungsgeschichte.


Gesundheitsrisiken, die niemand mehr untersucht

Die Forschung war bislang eindeutig: Extremwetter-Ereignisse erhöhen das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Asthmaanfälle – und auch für psychische Erkrankungen. Rauch von Waldbränden enthält toxische Stoffe, deren langfristige Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System noch nicht ausreichend erforscht ist. Hitzewellen treiben die Zahl der Frühgeburten nach oben, vor allem in marginalisierten Gruppen.

Und trotzdem zieht sich der größte Geldgeber zurück.

Klar, es gibt private Stiftungen. Aber deren Mittel sind begrenzt. Und es fehlt ihnen oft die Struktur, Langzeitstudien zu ermöglichen. Ohne staatliche Förderung fällt die Wissenschaft in eine gefährliche Abhängigkeit – von Spenden, von politischen Launen, von ideologischen Filterblasen.

Ist das noch Forschung im Dienst der Gesellschaft?


Wenn Schweigen zur Strategie wird

Es ist nicht das erste Mal, dass Wissenschaft von Politik ausgebremst wird. Doch selten geschieht es so offen. Die Entscheidung, die Förderung einzustellen, kam nicht schleichend – sie kam mit Ansage. Wer „Klima“ sagt, steht draußen.

Das wirkt wie ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit Jahren mit den gesundheitlichen Folgen der Erderwärmung befassen. Die mit Patient*innen sprechen, die unter Hitzestress leiden. Die in verrauchten Gebieten Atemluft messen. Die untersuchen, wie sich extreme Temperaturen auf Kinderherzen auswirken.

Jetzt soll all das nicht mehr relevant sein?


Wer schützt die Verletzlichsten?

Besonders betroffen sind Bevölkerungsgruppen, die ohnehin am meisten zu kämpfen haben: Kinder, ältere Menschen, Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen, Communities of Color. Sie trifft die Klimakrise zuerst – und am härtesten. Ihre Realität wird nun weniger erforscht. Weniger verstanden. Weniger sichtbar gemacht.

Und genau hier liegt der wahre Skandal: Diese Entscheidung ist nicht neutral. Sie ist nicht technokratisch. Sie ist politisch. Und sie verschärft Ungleichheit – statt ihr entgegenzuwirken.


Die Welt schaut zu – und viele schweigen

Wissenschaftler*innen protestieren. In mehr als 30 Städten kam es zu Demonstrationen. Transparente mit der Aufschrift „Let Science Speak“ flatterten durch regnerische Straßen. In sozialen Netzwerken hagelte es Kritik. Aber jenseits der Fachwelt? Kaum Reaktion.

Vielleicht, weil Forschung oft leise arbeitet. Vielleicht, weil die Themen komplex sind. Vielleicht, weil niemand so recht weiß, was das alles eigentlich bedeutet.

Doch genau hier liegt das Problem. Denn wenn wir nicht wissen, wie sich Klimawandel auf unsere Gesundheit auswirkt – wie sollen wir dann handeln?


Weniger Daten, mehr Unsicherheit

Ein Beispiel: Ein Forschungsteam wollte herausfinden, wer am stärksten unter extremer Hitze leidet. Dazu sollten über 200.000 Menschen aus 27 Ländern über Jahre hinweg begleitet werden. Doch ohne Finanzierung liegt das Projekt jetzt auf Eis. Andere Projekte untersuchen die Auswirkungen von Hitze auf das Immunsystem – auch sie in Gefahr.

Die Konsequenz? Wir verlieren Zeit. Wir verlieren Wissen. Und wir verlieren Handlungsspielräume.


Zwischen Frustration und Trotz

Es ist frustrierend. Klar. Aber es ist auch ein Moment der Wahrheit. Denn wer jetzt weitermacht, tut das aus Überzeugung. Aus einem tiefen Gefühl der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Aus der Hoffnung, dass Wissenschaft nicht verstummt – auch wenn man ihr das Mikrofon abdreht.

Vielleicht brauchen wir jetzt mehr denn je die leisen Stimmen. Die, die weitermachen, auch ohne großes Budget. Die, die andere Wege finden. Die, die sich nicht davon abhalten lassen, unbequeme Fragen zu stellen.


Was bleibt, ist die Aufgabe

Forschung zum Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit ist keine Luxusdisziplin. Sie ist Notwendigkeit. Sie ist Teil einer gesellschaftlichen Resilienz, die wir dringend brauchen – in einer Welt, die heißer, extremer und unberechenbarer wird.

Was, wenn die nächste Hitzewelle wieder tausende Menschenleben fordert? Was, wenn wir erneut feststellen müssen, dass Rauch von Waldbränden Schwangeren schadet – und niemand daran gearbeitet hat, sie zu schützen?

Wollen wir wirklich in dieser Unwissenheit leben?


Schlusswort

Der Rückzug der NIH ist ein Warnsignal. Nicht nur für die USA, sondern für die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft. Denn was dort geschieht, strahlt aus – auch auf andere Länder, auf andere Institutionen, auf die globale Forschungskultur.

Jetzt braucht es Solidarität. Und mutige Stimmen. Und ja – auch Wut. Aber vor allem: den unbedingten Willen, weiterzuforschen. Für die Gesundheit. Für die Gerechtigkeit. Für die Zukunft.

Von Andreas M. B.

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