Nahe Cahors im Département Lot stehen die Winzer vor einer existenziellen Krise. Der Frühjahrsfrost, der in den letzten Jahren immer wieder die Ernte dezimierte, hat diesmal rund 90% der Weinreben vernichtet. Für viele bedeutet das nicht nur einen Verlust von Trauben – sondern ihre gesamte Existenzgrundlage.
Eric Boudet, einer der betroffenen Winzer, beschreibt das Ausmaß des Schadens eindringlich: „In den Reben gibt es keine Trauben – wir haben nichts zu ernten.“ Seine Verluste für dieses Jahr belaufen sich auf rund 120.000 Euro, und dies ist kein Einzelfall. Sechs Jahre in Folge kämpft er mit immer extremeren Wetterbedingungen. Es ist eine deutliche Folge des Klimawandels, die immer mehr Bauern in ganz Europa spüren.
Ein existenzieller Wandel
Die Situation im Lot ist dramatisch. 90% der Weinreben sind diesem Jahr dem Frost zum Opfer gefallen, was besonders die Region Cahors schwer getroffen hat. Élodie Marsoni, Leiterin einer lokalen Weinkooperative, zeigt sich besorgt über den schlechten Ertrag. Ihre Weinkellerei ist auf eine Produktion von 5 Millionen Litern ausgelegt. In diesem Jahr jedoch füllt sie lediglich 1,2 Millionen – weniger als ein Viertel der üblichen Menge. „Wir wissen gar nicht, wie wir das auffangen sollen“, sagt sie und blickt auf die fast leeren Weintanks. Die Zukunft der Region, die einst für ihre hochwertigen Weine bekannt war, steht auf der Kippe.
Was tut man, wenn man seit Generationen Wein produziert und plötzlich nichts mehr ernten kann? Einige Winzer haben beschlossen, neue Wege zu gehen. David Girard ist einer von ihnen.
Von Wein zu Lavendel
Vor vier Jahren sah David Girard, dass es so nicht weitergehen kann. Er musste sich an die neuen klimatischen Realitäten anpassen – oder alles verlieren. Zusammen mit seiner Frau begann er, Lavendel anzubauen. Heute produziert er Lavendelseifen und andere Duftprodukte, die ihm ein zweites Standbein sichern. „Es war eine schwierige Entscheidung, aber eine, die uns geholfen hat, die Schläge des Wetters abzufedern“, erklärt Girard.
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. In ganz Frankreich suchen Winzer nach alternativen Einnahmequellen, um den drastischen Ernteausfällen durch Frost, Dürre oder Hagel zu entkommen. Manchmal kommt es einem so vor, als würde die Natur ihnen das Handwerk legen. Aber es zeigt auch, wie anpassungsfähig der Mensch sein kann, wenn er muss. Was bleibt, wenn der Wein verschwindet? Lavendel, Seife – und vielleicht eine ganz neue Lebensweise.
Die Herausforderung des Klimawandels für den Weinbau
Es klingt paradox, aber der Weinbau, der jahrtausendelang von der Empfindlichkeit seines Terroirs lebte, sieht sich nun ausgerechnet wegen seiner Zerbrechlichkeit bedroht. In Cahors, einer Region, die für ihre tiefroten Malbec-Weine berühmt ist, bedeuten 90% Ernteverlust nicht nur einen wirtschaftlichen Rückschlag, sondern auch einen kulturellen Verlust. Wein ist hier nicht einfach nur ein Getränk – es ist Identität.
Aber die Veränderungen des Klimas machen nicht halt. Extreme Wetterereignisse wie Frost im Frühjahr, Dürre im Sommer und schwere Stürme nehmen zu und treffen landwirtschaftliche Betriebe aller Art hart. Winzer sind besonders anfällig, da Reben viele Jahre brauchen, um zu wachsen und Früchte zu tragen. Ein zerstörtes Jahr ist nicht leicht aufzuholen.
Gleichzeitig verschieben sich durch den Klimawandel die Anbaugebiete. Regionen, die früher zu kalt waren, werden plötzlich attraktiv, während traditionelle Weinbaugebiete wie das Lot zu heiß oder unberechenbar werden. Neue Technologien wie Frostschutzsysteme oder Bewässerungsmethoden können helfen – aber das ändert nichts an der Grundproblematik: Die Erde erwärmt sich, und der Weinbau muss sich schneller anpassen, als viele gedacht haben.
Die Diversifizierung als Rettungsanker?
Das Beispiel von David Girard zeigt, dass Diversifizierung ein Weg sein kann, mit den Auswirkungen des Klimawandels umzugehen. Lavendel benötigt im Gegensatz zu Wein weniger Wasser, ist widerstandsfähiger gegenüber Wetterextremen und bietet dennoch die Möglichkeit, landwirtschaftliche Produkte herzustellen, die einen Marktwert haben. Andere Winzer setzen auf Tourismus, bauen Obst oder Gemüse an oder produzieren Honig. Sie alle sind gezwungen, sich neu zu erfinden – und das schnell.
Die Frage, die sich viele stellen: Wird es in ein paar Jahrzehnten überhaupt noch möglich sein, in Regionen wie Cahors Wein in der gewohnten Qualität anzubauen? Oder muss man sich daran gewöhnen, dass französische Weine von woanders kommen – oder sogar ganz verschwinden?
Ein neuer Anfang?
Trotz der düsteren Prognosen gibt es auch Lichtblicke. Die Diversifizierung gibt den Winzern nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern bringt auch neue kreative Möglichkeiten. Seifenproduktion, Lavendelöl oder andere handgemachte Produkte sprechen eine wachsende Zahl umweltbewusster Konsumenten an, die Wert auf regionale und nachhaltige Produkte legen.
David Girard erzählt mit einem Lächeln von den ersten Seifen, die er zusammen mit seiner Frau in Handarbeit hergestellt hat. „Wir hatten keine Ahnung, was wir taten – aber es hat funktioniert. Und jetzt können wir uns ein Leben ohne Lavendel gar nicht mehr vorstellen.“
Vielleicht ist genau das die Lektion, die uns der Klimawandel lehrt: Anpassen, improvisieren – und manchmal komplett neu anfangen.
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