Tag & Nacht




Ich habe diese Woche ein Glas Rosé geöffnet. Ein ganz normaler Abend. Ein schöner Tropfen aus der Provence, Jahrgang 2024. Fruchtig, leicht, perfekt gekühlt. Und doch hat mir jeder Schluck einen Stich versetzt.

Denn was da im Glas schimmert, ist nicht nur das Ergebnis von Sonne, Handwerk und Tradition. Es ist auch das stille Zeugnis eines schleichenden Desasters. Der Klimawandel ist längst in unseren Gläsern angekommen – und die meisten von uns merken es nicht einmal.

Die Winzer im Var lesen ihre Trauben jetzt im August. Nicht im September, nicht im Oktober. Mitte August! Während andere noch ihre Sommerferien planen, schwitzen Männer und Frauen in den Weinbergen, um zu retten, was noch zu retten ist. Sie sprechen von „Frühreife“, von „aromatischer Dichte“, als wäre das ein Geschenk der Natur.

Ist es nicht.

Es ist eine Warnung. Eine, die Jahr für Jahr schriller wird.

Wir verlieren den Rhythmus der Jahreszeiten – leise, aber gnadenlos. Die Rebe ist nur ein Gradmesser, ein sensibles Seismografensystem für das, was wir längst wissen sollten: Die Welt kippt. Und wir? Wir schlürfen Rosé, posten Instagram-Stories aus Weinbergen und applaudieren noch dem nächsten „Jahrhundertwein“.

Heuchelei in Reinkultur.

Der Weinbau stirbt nicht mit einem Knall. Er stirbt in Etappen. Mit jeder Hitzewelle, mit jeder verlorenen Nacht Abkühlung, mit jedem Sommerregen, der plötzlich ausbleibt. Und irgendwann werden wir zurückblicken und sagen: „Damals war alles besser.“ Dabei ist „damals“ genau jetzt.

Ja, die Winzer kämpfen. Sie probieren neue Rebsorten, verschieben die Weinlese, steuern mit Technik gegen den Irrsinn der Natur. Aber ganz ehrlich? Das ist wie ein Pflaster auf eine platzende Arterie. Wer glaubt, wir könnten uns aus dieser Krise heraus-innovieren, hat den Ernst der Lage nicht begriffen.

Der Wein ist Kultur. Der Wein ist Identität. Der Wein ist Lebensgefühl. Und gerade deshalb sollten wir ihn nicht nur genießen, sondern endlich auch schützen. Und das heißt: aufwachen, unbequem werden, handeln – politisch, persönlich, radikal.

Denn irgendwann, und das ist keine Panikmache, werden wir auf einem toten Boden stehen und uns fragen, wann wir den Moment zum Umkehren verpasst haben.

Ich trinke gern guten Wein. Aber ich will auch, dass meine Kinder noch wissen, was ein „Jahrgang“ ist.

Ein Kommentar von C. Hatty

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